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Agent 6

Titel: Agent 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Rob Smith
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alles unter Kontrolle. Die Konzerte werden sicher ein großer Erfolg.
    Die Männer standen auf – für sie das Zeichen zu gehen. Raisa konnte es kaum glauben und fragte unsicher:
    – Sie wollen nichts dazu sagen?
    Trofimow lächelte.
    – Was sollte ich dazu sagen? Nur: Viel Glück! Ich freue mich schon auf das Konzert. Es wird ein großer Erfolg. Ein Triumph, daran habe ich keinen Zweifel. Wir sehen uns dann heute Abend.
    – Kommen Sie nicht heute Nachmittag zur Kostümprobe?
    – Nein, das ist nicht nötig. Und es würde uns vielleicht den Abend verderben. Wir vertrauen Ihnen. Wir vertrauen Ihnen vollkommen.
    Trofimow begleitete Raisa zur Tür. Draußen wartete der junge Besucherführer, um sie zum großen Saal zu bringen. Trofimow verabschiedete sich, ebenso Evan Vass. Raisa nickte, dann ging sie verblüfft über die Reaktion der Männer zum Fahrstuhl. Sie hatten sie nicht ausgefragt. Sie hatten nicht ihre Autorität ausgespielt. Stattdessen hatten sie sich benommen, als wäre das Konzert, für das sie so lange um politische Erlaubnis bitten mussten, völlig belanglos.
    Sie berührte ihren Besucherführer am Arm und fragte auf Englisch:
    – Wo ist die Toilette?
    Er schlug eine andere Richtung ein und führte sie zur Damentoilette. Sie ging hinein und sah nach, ob sie allein war, dann stützte sie sich auf das Waschbecken und betrachtete sich im Spiegel. Sie musterte ihre hässliche, unmodische Kleidung und bemerkte die Anspannung in ihren Schultern. Leo hatte mit seiner Ahnung über die Reise richtiggelegen.

New Jersey
Bergen County
Teaneck
Am selben Tag
    FBI-Agent Jim Yates stand neben seiner schlafenden Frau und sah auf sie hinunter, als wäre sie eine Leiche und er der erste Polizist am Tatort. Sie lag mitten im Hochsommer in eine dicke Bettdecke eingewickelt in einem Schlafzimmer, das einer Sauna glich. Weil sie extrem sensibel auf Geräusche reagierte, kräuselten sich aus ihren Ohren Wattebäusche wie Lagerfeuerrauch. Eine dicke, schwarze Schlafmaske schützte sie in ewiger Dunkelheit und hielt die Welt von ihr fern, weil sie sogar diesen wunderbaren, sonnigen Morgen verabscheute. Er beugte sich hinunter, bis seine Lippen fast ihre Stirn berührten, und flüsterte:
    – Ich liebe dich.
    Sie drehte sich auf die Seite, weg von ihm, und verzog gereizt das Gesicht. Ihr Stirnrunzeln sollte ihn verscheuchen. Weder nahm sie die Schlafmaske ab, noch antwortete sie. Als er sich aufrichtete, blitzte vor seinem inneren Auge das Bild auf, wie er ihr die Maske abnahm, mit den Fingerspitzen ihre Augenlider hochzog und sie zwang, ihn anzusehen – dabei würde er ruhig und beherrscht, ohne zu schreien oder wütend zu werden, immer wieder sagen:
    Ich. Liebe. Dich.
    Er würde es wiederholen, immer lauter und lauter, bis sie antwortete:
    Ich. Liebe. Dich. Auch.
    Er würde danke sagen. Sie würde ihn liebevoll anlächeln. So sollte ein normaler Tag anfangen. Wenn ein Mann seiner Frau sagte, dass er sie liebte, sollte sie antworten, sie würde ihn auch lieben. Es musste nicht einmal wahr sein, aber diesem Muster sollte man folgen. So funktionierte es in jedem anderen Haushalt, in jedem anständigen Vorort, in jeder normalen amerikanischen Familie.
    Yates ging zum Fenster und zog den Vorhang zur Seite, um in den Garten zu sehen – er war überwuchert, die Blumenbeete erstickten unter kniehohem Unkraut, zerknotet und struppig wie Hexenhaar. Der Rasen war schon lange gelb, die Erde zu steinharten Brocken aufgebrochen. Gezackte Risse zogen sich zwischen Klumpen von schlaffem, gelbem Gras hindurch wie auf der Oberfläche eines unbewohnbaren Mondes. Zwischen den perfekt gepflegten Gärten ihrer Nachbarn bildete er einen Schandfleck. Yates hatte vorgeschlagen, einen Gärtner einzustellen, aber seine Frau hatte nicht eingewilligt. Sie fand die Vorstellung beunruhigend, ein Fremder würde im Haus aus und ein gehen, Lärm machen, mit den Nachbarn reden. Also hatte Yates gesagt, sie könnten den Gärtner bitten, nicht zu reden, nie das Haus zu betreten und so leise wie möglich zu sein, nur damit ihr Haus nicht mehr so schändlich verwahrlost aussah. Seine Frau hatte abgelehnt.
    Bevor er aufbrach, spielte er die übliche Routine durch. Er sah nach, ob das Telefon ausgestöpselt und die Fenster geschlossen waren. Nachdem er das überprüft hatte, ging er die Treppe hinunter. Sie hatten die Stufen für viel Geld mit besonders dickem, edlem Teppich aus dem Ausland belegen lassen, um jedes Geräusch zu dämpfen. Als Yates das

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