Agent 6
zurückgekommen?
– Nein.
– Sie soll so lange beim Schwimmen sein? Fanden Sie es nicht seltsam, dass sie nicht längst wieder da ist?
Jim nahm die leere Kaffeetasse der Übersetzerin und knallte sie auf den Tisch – ein unerwartet lautes Geräusch in der sonst gedämpften Atmosphäre. Alle Blicke richteten sich auf ihn.
– Ich will wissen, wo eines der Mädchen ist, Elena, siebzehn Jahre alt. Sie soll beim Schwimmbecken sein.
Ein Agent hob die Hand und antwortete nervös:
– Wir sind dem Mädchen in den Schwimmbereich gefolgt. Ein Agent wartet draußen.
– Ist sie noch da?
– Sie ist nicht rausgekommen.
– Kann der Agent sie sehen? Jetzt im Moment – kann er sehen, was sie macht?
Erst herrschte Schweigen, dann kam die zögerliche Antwort:
– Der Agent ist nicht am Schwimmbecken. Er hat am Eingang Posten bezogen. Aber sie ist nicht an ihm vorbeigekommen. Sie muss noch im Pool sein.
– Verwetten Sie darauf Ihre Karriere?
Der Mann wurde unsicher. Er fing an zu stottern.
– Es gibt nur diesen einen Weg zum Schwimmbecken. Wenn sie nicht an ihm vorbeigekommen ist, muss sie noch dort sein.
Ohne sich mit einer Antwort aufzuhalten, lief Yates zu den Türen, rannte am Fahrstuhl vorbei und nahm auf der Treppe zum Schwimmbecken hinauf immer zwei Stufen auf einmal.
Manhattan
Fifth Avenue
Am selben Tag
Als Elena wieder in einem Taxi saß, blickte sie auf die Uhr. Sie war spät dran. In ein paar Minuten sollten sich die Schüler schon treffen. Alles hatte länger gedauert, als sie erwartet hatte – sie hatte viel mehr Zeit für die Fahrt nach Harlem gebraucht, mehr Zeit in Mr. Austins Wohnung und auch mehr Zeit, bis sie wieder gehen konnte. Weil Jesse Austin Angst hatte, die amerikanische Geheimpolizei würde ihn beobachten, hatte er sie zur Rückseite des Gebäudes begleitet. Sie hatte ihm zum Abschied zugewunken, ohne zu wissen, ob er am Abend kommen würde. Er hatte ihr nichts versprochen. Aber sie hatte getan, was sie konnte.
Als sie nur noch fünfhundert Meter vom Hotel entfernt waren, stockte der Verkehr. Weil sie keinen passenden englischen Satz kannte, sagte sie nur:
– Ich bezahle jetzt.
Sie legte Geld hin, eine viel zu hohe Summe. Ohne auf ihr Wechselgeld zu warten, sprang sie aus dem Taxi und lief die Straße entlang. Statt den Haupteingang zu nehmen, bog sie in die Seitenstraße für Lieferanten ein. Eine Reihe von Stahltreppen führten an der Rückwand hinauf zur Sonnenterrasse im vierten Stock – sie sollten als Feuertreppe dienen, falls jemand im Bereich des Schwimmbeckens festsaß und die Hotelkorridore unpassierbar wären. Bevor Elena die Treppen hinaufstieg, zog sie ihre Kleidung aus. Unter ihrer Bluse und dem Rock trug sie einen Badeanzug. Als sie vormittags heruntergeklettert war, hatten die Kleider und ein paar Schuhe getarnt hinter den großen Mülltonnen auf sie gewartet. Elena hatte keine Ahnung, wer die Sachen dort versteckt hatte, vielleicht ein Mitglied der KPUSA . Sie warf die Sachen in den Müll, dann stieg sie hinauf. Als sie mit geröteten Wangen und außer Atem die Sonnenterrasse im vierten Stock erreichte, spähte sie über die Brüstung. Die Sonne schien, und die Terrasse war gut besucht. Sie kletterte über das Geländer und ging zielstrebig Richtung Schwimmbecken. Ob jemand ihren ungewöhnlichen Auftritt bemerkt hatte, wusste sie nicht.
Am Beckenrand stand der Mann, den sie in Harlem gesehen hatte, der amerikanische Geheimpolizist. Sie würde es nicht ins Schwimmbecken schaffen, ohne von ihm gesehen zu werden. Wenn er die Sonnenterrasse bereits abgesucht hatte, würde er misstrauisch werden, falls sie plötzlich auftauchte. Dann entdeckte er vielleicht die Feuertreppe und fand ihre Kleidung im Müll. Der einzige Ort, an dem er nicht nachgesehen haben konnte, war die Damenumkleide. Sie besaß Zugänge zum Schwimmbecken und zur Außenterrasse. Elena schlug eine andere Richtung ein, weg von dem Agenten. Sie öffnete die Tür und betrat die Umkleide.
Als sie zu ihrem Spind ging, legte sich ihr eine Hand auf die Schulter. Erschrocken drehte sie sich um. Vor ihr stand Raisa.
– Wo warst du?
– In der Sauna.
Die Lüge kam wie ein genialer Gedankenblitz. Elenas Gesicht war rot und verschwitzt. Raisa schien die Erklärung abzuwägen, und Elena wurde klar, dass Soja sie an ihrer Stelle weiter ausgefragt hätte. Raisa nahm die Antwort jedoch mit einem Nicken an. Elena schlang sich ein Handtuch um. Raisa fragte:
– Bist du im Badeanzug
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