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Agent 6

Titel: Agent 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Rob Smith
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ging zum Fahrstuhl. Der junge FBI -Agent, der als Fahrstuhlführer eingesetzt war, entschuldigte mit einem verlegenen Grinsen seine lächerliche Uniform. Yates fragte:
    – Hat eine junge Frau den Fahrstuhl benutzt?
    – Ja, erst vor ein paar Minuten.
    – Nein, deutlich jünger, etwa achtzehn Jahre alt.
    – Ich bin nicht sicher. Ich glaube nicht. Vielleicht hat sie den anderen Fahrstuhl genommen.
    Die Türen öffneten sich. Als Yates ausstieg, ärgerte er sich darüber, dass seine Kollegen nicht den nötigen Einsatz brachten. Sie hatte sich davon einlullen lassen, dass sie es mit niedlichen Kindern zu tun hatten, viel zu engelsgleich, um etwas im Schilde zu führen. Seit der Ankündigung der Reise war Yates davon überzeugt, dass die Sowjets diese Gelegenheit irgendwie ausnützen würden. Er ging auf die kunstvoll verzierten Doppeltüren des Ballsaals zu. Sie waren verschlossen, ein Schild verkündete, im Saal würden umfassende Renovierungsarbeiten stattfinden. Yates holte seinen Schlüssel hervor, schloss die schwere Tür auf und betrat den riesigen Ballsaal.
    An mehr als dreißig Schreibtischen quer durch den Saal saßen unzählige Agenten mit Kopfhörern und machten Notizen. Alle Zimmer der sowjetischen Delegation waren mit mehreren Abhörgeräten in den Decken von Schlafzimmer und Bad versehen, selbst die begehbaren Kleiderschränke waren verwanzt, damit die Hotelgäste sich nirgends ungehört unterhalten konnten. Über die Fernseher hatte Uneinigkeit geherrscht. Yates betrachtete sie als Risiko, weil man mit ihrem Ton eigene Gespräche überdecken konnte. Er sah keinen Vorteil darin, den Schülern Zeichentrickfilme, Popmusik und Werbung zu zeigen. Aber man hatte ihn überstimmt. Die Fernseher waren manipuliert und bombardierten die Zuschauer mit Bildern von Überfluss und Luxus. Genau diese Botschaft sollte nach dem Willen von Yates’ Vorgesetzten nach Russland durchsickern. Als Kompromiss hatte Yates die Lautstärke der Geräte so weit herabregeln lassen, dass sie auf keinen Fall Gespräche übertönen konnten.
    Jedem Zimmer waren zwei Übersetzer zugeteilt, die in Zwölfstundenschichten arbeiteten. Die Gespräche wurden aufgenommen, aber um sie sofort bewerten zu können, übersetzen die Teams simultan und stenographierten mit. Alles Wichtige wurde sofort gemeldet. Den Rest tippten die Übersetzer nach ihren Notizen ab, während die Schüler und Lehrer unterwegs waren oder schliefen. Die Operation war so umfangreich, dass das FBI die größte Gruppe von Russischexperten im ganzen Land zusammengetrommelt hatte.
    Yates nahm den Ordner mit Fotos der sowjetischen Schüler zur Hand. Er hatte sie schon oft betrachtet. Er hatte beobachtet, wie die Kinder aus dem Flugzeug gestiegen waren, und wie sie das Hotel betreten hatten. Er war nicht ganz sicher, ob die junge Frau, die er auf der Straße in Harlem gesehen hatte, wirklich zu ihnen gehörte. Wie hatte sie das Hotel verlassen, ohne gesehen zu werden? Auf dem geschäftigen Gehweg hatte er ihr Gesicht nur kurz gesehen, dann war sie an ihm vorbeigegangen und in eine andere Straße verschwunden, scheinbar ohne Kontakt zu Jesse Austin aufzunehmen, dem bekanntesten Kommunisten des Viertels. Sie war ganz unerwartet aufgetaucht, und ein junges, weißes Mädchen passte nicht in diese Gegend. Auf dem Weg zu seinem Auto war Yates das wartende Taxi aufgefallen, und er hatte beschlossen, ebenfalls zu warten. Die junge Frau war nicht zurückgekehrt. Am Ende war das Taxi ohne Gast weggefahren. Jesses Wohnung konnte man von der Straße aus nicht sehen. Nach vierzig Minuten hatte Yates auch aufgegeben, weil er seinen Verdacht endlich im Hotel überprüfen wollte.
    Beim Durchblättern hielt er bei einem Foto an. Die Frau war in einer Schwarzweißaufnahme zu sehen. Sie hieß Elena und war siebzehn Jahre alt. Das Zimmer teilte sie sich mit ihrer älteren Schwester. Yates ging zu dem Tisch der Übersetzerin, die diesem Zimmer zugeteilt war.
    – Was machen sie?
    Die Frau nahm ihre Kopfhörer ab und antwortete mit schwerem russischen Akzent. Yates musste sein Missfallen verbergen: Er hatte es mit einer Immigrantin zu tun, und denen konnte man am allerwenigsten vertrauen.
    – Die ältere Schwester sieht fern.
    – Und die jüngere Schwester? Elena?
    – Sie ist schwimmen gegangen.
    – Wann?
    Die Übersetzerin sah im Protokoll nach.
    – Sie hat das Zimmer um zehn Uhr verlassen.
    – Haben Sie das gemeldet?
    – Jemand ist ihr zum Pool gefolgt.
    – Und ist sie

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