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Agent 6

Titel: Agent 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Rob Smith
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ihr hängen. Er erkannte sie wieder, sie wohnte in seiner Nähe. Sie hieß Lena, und er hatte sie schon oft gesehen. Sie war ihm aufgefallen, weil sie sich benahm, als wollte sie unbemerkt bleiben. Sie trug schlichte Kleidung, wie die meisten Frauen, aber sie selbst war alles andere als reizlos. Ihr Wunsch, nicht aufzufallen, hatte mit ihrer Schönheit zu kämpfen, und selbst wenn es nicht zu Leos Aufgabe gehört hätte, Menschen zu beobachten, hätte er sie mit Sicherheit bemerkt.
    Vor einer Woche war er ihr zufällig in der Metro begegnet. Sie hatten so nah beieinandergestanden, dass es ihm unfreundlich vorgekommen wäre, sie nicht zu grüßen. Nachdem sie sich schon mehrmals gesehen hatten, war es nur höflich, sich entsprechend zu verhalten. Er war so nervös geworden, dass er erst nach ein paar Minuten den Mut aufbrachte, sie anzusprechen, doch da stieg sie auch schon aus. Leo folgte ihr enttäuscht, obwohl es für ihn die falsche Haltestelle war und er normalerweise nicht so spontan reagierte. Als sie sich dem Ausgang näherte, berührte er sie an der Schulter. Sie wandte sich schnell um, die großen braunen Augen wachsam vor jeder Gefahr. Er fragte nach ihrem Namen. Sie musterte ihn mit einem kurzen Blick und sah sich die Fahrgäste an, die an ihnen vorbeiströmten, bevor sie antwortete, sie heiße Lena, und sich entschuldigte, sie habe es eilig. Dann war sie verschwunden. Ohne die leiseste Ermutigung, aber auch ohne die leiseste Unhöflichkeit. Leo hatte nicht gewagt, ihr zu folgen. Er war verlegen zum Bahnsteig zurückgegangen und hatte auf die nächste U-Bahn gewartet. Das Unternehmen hatte ihn einiges gekostet. Er war an diesem Morgen zu spät zur Arbeit erschienen, was noch nie vorgekommen war. Als kleinen Trost kannte er endlich ihren Namen.
    Heute sah er sie zum ersten Mal nach diesem peinlichen Ereignis wieder. Angespannt beobachtete er sie, als sie durch den Gang lief, und hoffte, sie würde sich neben ihn setzen. Leicht schwankend von der Bewegung der Straßenbahn ging sie ohne ein Wort an ihm vorbei. Hatte sie ihn vielleicht nicht erkannt? Leo blickte sich um. Sie setzte sich in den hinteren Teil des Wagens. Ihre Tasche nahm sie auf den Schoß, den Blick richtete sie auf das Schneetreiben draußen. Er brauchte sich nichts vorzumachen: Natürlich erinnerte sie sich an ihn, das erkannte er daran, wie geflissentlich sie ihn übersah. Der Abstand, den sie zu ihm hielt, verletzte ihn, jeder Meter zeigte, wie wenig sie ihn mochte. Hätte sie mit ihm reden wollen, hätte sie sich nicht so weit weg gesetzt. Andererseits wäre das zu forsch gewesen. Es lag an ihm, auf sie zuzugehen. Er wusste, wie sie hieß. Sie kannten sich. Es wäre nichts Falsches dabei, ein zweites Gespräch anzufangen. Je länger er wartete, desto schwieriger würde es sein. Und falls kein richtiges Gespräch zustande kam, würde Leo nicht mehr als ein bisschen Stolz verlieren. Er scherzte in Gedanken, dass er einen solchen Verlust verschmerzen könnte: Wahrscheinlich schleppte er sowieso zu viel Stolz mit sich herum.
    Nachdem er sich entschlossen hatte, stand er ruckartig auf und ging mit gespieltem Selbstbewusstsein auf Lena zu. Er setzte sich auf den Platz vor ihr und beugte sich über die Rückenlehne:
    – Ich heiße Leo. Wir haben uns neulich gesehen.
    Sie brauchte so lange für ihre Antwort, dass Leo schon dachte, sie wolle ihn ignorieren.
    – Ja, ich erinnere mich.
    Erst jetzt wurde ihm klar, dass er nicht wusste, worüber er reden sollte. Verlegen improvisierte er:
    – Ich habe gerade gehört, wie Sie gesagt haben, draußen wäre es genauso kalt wie hier drinnen. Genau das habe ich auch gedacht. Es ist wirklich sehr kalt.
    Seine Bemerkung war so banal, dass er errötete und bitter bereute, das Gespräch nicht vorausgeplant zu haben. Sie antwortete mit Blick auf Leos Mantel:
    – Kalt? Obwohl Sie so einen schönen Mantel haben?
    Als Agent kam Leo an hochwertige Winterjacken, handgearbeitete Stiefel und dicke Pelzmützen heran. An seinem Mantel konnte man seinen Status ablesen. Weil er nicht zugeben wollte, dass er für die Geheimpolizei arbeitete, griff er zu einer Lüge:
    – Mein Vater hat ihn mir geschenkt. Ich weiß nicht, wo er ihn gekauft hat.
    Dann wechselte Leo das Thema:
    – Ich habe Sie schon oft gesehen. Vielleicht wohnen wir in der gleichen Gegend.
    – Könnte sein.
    Die Antwort ließ Leo stutzen. Offenbar wollte Lena ihm nicht sagen, wo sie wohnte. Es war nicht ungewöhnlich, dass jemand so vorsichtig

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