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Agent 6

Titel: Agent 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Rob Smith
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beerdigt! Genau wie ihre Eltern! Ich bin genauso sehr Amerikaner wie Sie, vielleicht noch mehr, ganz sicher mehr, denn ich glaube fest an die Redefreiheit und an Gleichberechtigung. Über solche Dinge denken Sie wahrscheinlich nicht einmal nach. Sie sind so damit beschäftigt, die amerikanische Flagge zu schwenken, dass Sie gar nicht darüber nachdenken, wofür diese Flagge steht!
    Die Frau bekam Unterstützung von einer Gruppe antikommunistischer Demonstranten. Sie unterbrachen Jesse abwechselnd und schrien gegen den Lärm an; einige Kommentare gingen unter, andere drangen durch.
    – Sie leben in Amerika und beleidigen unser Land!
    – Beleidigt habe ich höchstens Leute wie Sie, Leute, die nicht begreifen, dass wir doch alle Menschen sind. Aber egal ob Sie das begreifen oder nicht, überall auf der Welt hoffen die Menschen auf ein besseres Leben. Jeder will gerecht behandelt werden, egal wo er lebt oder welche Sprache er spricht.
    Jesse deutete auf den Hauptsitz der Vereinten Nationen.
    – Dieses Gebäude verkörpert die ganze Welt unter einem Dach. Das ist die Realität. Wir leben alle unter dem gleichen Himmel. Wir atmen die gleiche Luft. Die gleiche Sonne wärmt uns. Die Regierung schafft mit ihren Gesetzen keine Menschenrechte. Diese Rechte waren zuerst da! Regierungen bestehen, um diese grundlegenden Menschenrechte zu fördern und zu schützen. Diese Rechte haben nichts damit zu tun, welche Partei Sie wählen oder wo Sie leben. Sie haben nichts mit der Farbe Ihrer Haut zu tun oder dem Geld in Ihrer Tasche. Diese Rechte sind unveräußerlich. Für diese Rechte werde ich kämpfen, solange ich atme und solange mein Herz schlägt.
    Jesse wusste, dass das Konzert bald beendet sein würde. Die sowjetische Delegation würde auf die Straße strömen, die jungen Schüler würden sich unter die Menge mischen und ihn umringen. Dieser Gedanke ließ ihn lächeln.

Global Travel Company
926 Broadway
Am selben Tag
    Mit Handschellen an den Heizkörper im Hinterzimmer gefesselt und im Dunkeln eingesperrt, hatte Osip Feinstein jedes Zeitgefühl verloren. Die Entzugserscheinungen brachten ihn zum Schwitzen. Normalerweise würde er um diese Zeit Opium rauchen, und die Gier seines Körpers nach der Droge überdeckte alle anderen Empfindungen, auch das Gefühl, das jeder normale Mensch unter diesen Umständen spüren würde – Angst. Seine Hose war nass. Weil er nicht zur Toilette gehen konnte, hatte er sich eingenässt. Sein Handgelenk schmerzte, wo das Metall in die Haut drückte. Er konnte die Finger nicht mehr bewegen. Die Fotos von Jesse Austin und der jungen Russin waren verschwunden, und Osip hatte mit seiner spontanen Einschätzung von Agent Yates recht behalten: Der Mann war extrem gefährlich.
    In seinem benebelten Zustand bemerkte er, dass sich jemand im Reisebüro befand. Langsam öffnete sich die Tür. Osip blinzelte in das Licht. Vor ihm stand der sowjetische Agent, der ihm die Kamera gegeben hatte. Als Osips Augen sich an die Helligkeit gewöhnt hatten, erkannte er in der Hand des Mannes eine Pistole.
    – Dem FBI zu vertrauen war eine schlechte Entscheidung. Sie waren früher so klug. Mit einer solchen Fehleinschätzung hätten wir nicht gerechnet.
    Osip besaß nicht die Kraft, um sich zu wehren – er besaß nicht einmal die Kraft, um sein Leben zu kämpfen.
    – Ich laufe seit dreißig Jahren vor euch davon.
    – Jetzt nicht mehr, Osip.
    Der Mann nahm einen Kanister mit Hydrochinon, enthalten in einer leichtentzündlichen Entwicklerlösung, und schüttete es Osip über Kleidung und Gesicht, dass es ihm in Kehle und Augen spritzte. Die Lösung war eine konzentrierte Lauge, und Osips Haut schmerzte, als würde sie brennen, schon bevor der Mann ihn in Flammen setzte.

Manhattan
Hauptsitz der Vereinten Nationen
Saal der UN-Vollversammlung
First Avenue & East 44th Street
Am selben Tag
    Das Konzert war beendet, das Publikum applaudierte. Der junge amerikanische Schüler neben Soja fand die stehenden Ovationen so aufregend, dass er ihre Hand drückte. Der Junge, vielleicht zwölf, dreizehn Jahre alt, lächelte. In diesem Moment interessierte ihn nicht, dass sie eine Russin war – sie waren Freunde, Teil eines siegreichen Teams. Der Erfolg gehörte ihnen gemeinsam. Zu spät erkannte sie, dass es bei den Plänen ihrer Mutter um viel mehr ging als nur um einen guten Auftritt. Von Raisa stammte die Idee, dass alle die gleiche Kleidung tragen sollten, amerikanische genauso wie sowjetische Schüler, und sie hatte

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