Agenten - Roman
unterdrücken, seine umständlichen, gedrechselten Sätze hatte ich noch gut in Erinnerung, doch er bestand darauf, mich zu sehen.
Ich hatte ihn ins Dortmunder bestellt, und als ich mit ein wenig Verspätung erschien, saß er bereits bei einem Glas Bier in der Sonne. Er stand schwerfällig auf und gab mir die Hand; ich fühlte etwas Feuchtes, kalter Schweiß in seiner Innenhandfläche, und ich gab mich beschäftigt, um ihn erst gar nicht zur Entfaltung kommen zu lassen.
»Sie arbeiten noch immer im Sektor Kultur?« fragte er.
»Ist nicht totzukriegen, der Sektor«, antwortete ich.
»Ich hoffe, ich mache Ihnen keine Ungelegenheiten«, sagte er.
»Ungelegenheiten? Das Wort kenne ich nicht.«
»Es ist mir selbst peinlich, auf diesem Wege Ihren Kontakt zu suchen. Aber ich denke, es läßt sich nicht vermeiden.«
»Machen Sie sich keine Gedanken«, antwortete ich, »mit peinlichen Kontakten habe ich laufend zu tun.«
»Was Sie nicht sagen! Die Arbeit hat also auch ihre Schattenseiten?«
»Hören Sie«, sagte ich ungeduldig, »ich habe eine halbe Stunde Mittagspause, wär schön, wenn Sie ein bißchen zulegen würden.«
»Richtig, unsereins übersieht leicht, daß andre Leute sich an ihre Arbeitszeiten halten müssen.«
»Ganz recht«, erwiderte ich, »unsereins ist gewohnt, sich an Zeiten zu halten.«
»Also dann … Wo soll ich ansetzen?«
»Knapp, kurz, aber prägnant, das sind so unsre Devisen«, sagte ich.
»Ja, das sind Ihre Devisen … Gut, ich wollte mit Ihnen über Sarah sprechen. Ich möchte gleich vorausschicken, daß ich sie für eine außerordentliche Erscheinung halte …«
»Das ist mir nicht neu, ich kenne meine Schwester.«
»Außerordentlich, in vielen Belangen. Sie hat Kapazitäten auf fast allen Gebieten, es ist erstaunlich, wie schnell sie sich alles aneignet. Manchmal fürchtet man fast, sie ginge es zu schnell an …«
»Die Furcht habe ich nicht.«
»Der Stoff muß sich setzen, man kann den Geist auch überfordern …«
»Bei meiner Schwester setzt sich nichts, die legt ein anderes Tempo vor. Und was dieses Tempo betrifft, das finde ich so ganz in Ordnung.«
»Nun ja, Sie haben vielleicht nicht den richtigen Einblick. Wenn ich mich nicht täusche, haben Sie nie studiert?«
»Gott sei Dank nicht«, antwortete ich, »ich hätte nie Geduld dafür gehabt, daß sich was setzt …«
»So, na dann sind Sie zumindest in dieser Beziehung Ihrer Schwester nicht fern.«
»Hören Sie«, machte ich Druck, »es tut mir leid, aber Gespräche über Lernprozesse habe ich eigentlich hinter mir. Wie wär’s, Sie kämen zur Sache?«
»Die Sache, ja …, die Sache ist delikat.«
»Delikat? Wieder so ein Wort, das unsereinem abgeht …«
»Delikat, doch, so möchte ich es nennen. Ihre Schwester hat, bereits seit einiger Zeit, für meine Person ein gewisses Interesse gezeigt …«
»Ich weiß.«
»Sie wissen? Was hat sie Ihnen berichtet?«
»Sie haben sich in antike Glückslehren verrannt, war es nicht
so? Ein uferloses Thema, angeblich, und wohl auch ziemlich in der Schwebe?«
»Sie hat Ihnen davon erzählt? Nun ja, es ist das Thema meiner Dissertation, ich arbeite seit über sechs Jahren daran.«
»Na, dann ist es kein Wunder …«
»Was meinen Sie?«
»Vielleicht mußte das Thema sich zu lange setzen, am Ende hat es wohl nicht mehr Platz nehmen können.«
»Soll das ein Scherz sein? In Ihrer Familie scheint die Grenze zum Scherz nicht immer deutlich gewahrt …«
»Wenn Sie von meiner Schwester sprechen, so glaube ich nicht, daß sie Talent zum Scherzen hat.«
»Sehen Sie, das glaube ich auch, und eben dieser Annahme wegen habe ich Sie um ein Treffen gebeten …«
»Sie glauben also, meiner Schwester fehle es an Frohsinn, um es salopp zu sagen?«
»Nein, das wäre kein hinreichender Grund, mich Ihnen so aufzudrängen. Ich sagte bereits, die Sache ist delikat.«
»Herrje, nehmen Sie doch keine Rücksicht, auf mich doch nicht, die Zeiten sind doch vorbei …«
»Ich bin nicht Ihrer Ansicht, und ich hatte, offen gesagt, mit mehr Entgegenkommen gerechnet.«
»Bitte, nehmen Sie kein Blatt vor den Mund, ich werde Sie schon richtig verstehen.«
»Gut, Ihre Schwester hat für meine Person wohl nicht ausschließlich fachliches Interesse gezeigt.«
»Nein? Sie meinen, über das Fachliche hinaus? Das ist fast ausgeschlossen, ich kenne meine Schwester. Privates bedeutet ihr nichts, sie nennt das privaten Kitsch. «
»Gewiß, mag ja sein, so meinte ich es auch nicht. Meine
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