Agenten - Roman
Kellner ließen unseren Tisch nicht mehr aus den Augen. Sie fanden laufend einen Grund, sich uns zu nähern, und ihre Aufdringlichkeit machte mich gereizt. Ich reichte Linda die Karte, in der Hoffnung, daß sie sich nach unserer Bestellung beruhigen würden.
»Calderón ist ein Erfolg«, sagte ich, »ich lasse mir immer die Zahlen durchgeben, wie die Aufführungen besucht sind.«
»Ich glaube, wir sind besser geworden«, antwortete sie, »du solltest dir die Aufführung noch einmal anschauen. Wir gehen jetzt ganz selbstverständlich damit um, in diesem Fall hat die Gewöhnung an den Stoff uns geholfen.«
»Ja? Ist das so? Die inneren Konturen werden immer klarer, der Stoff tritt in den Hintergrund?«
»Genau so. Ich bin jetzt ganz auf meine Empfindungen konzentriert,
ich gebe mich dem Ausdruck hin, und der Stoff ist lediglich eine Folie.«
»Das muß das Schönste sein für einen Schauspieler, sich in einer Rolle so zu erleben, daß man sich als fremdes Wesen agieren sieht.«
»Woher weißt du das? Du erstaunst mich. Ich habe mich schon früher gewundert, wie gut du über Dinge sprichst, die du nicht aus eigener Erfahrung kennst.«
»Hast du? Wann denn zum Beispiel?«
»Nach der Premiere. Wir saßen im Rheingold , ich war ein wenig betrunken, und du sprachst von meiner Rolle, wie schwierig es sein müsse, in ihr das Männliche und das Weibliche zu verbinden. Ich wurde ganz wach über deinem Sprechen, ich hörte zu, als spräche ein Regisseur zu mir.«
»Wirklich? Aber es war dummes Zeug, nur ein paar unsortierte Ideen, die mir während der Aufführung durch den Kopf gegangen waren.«
»Dumm war es bestimmt nicht, sei nicht auf Komplimente aus! Weißt du, es kommt gar nicht so häufig vor, daß man mit uns Schauspielern so über eine Rolle redet.«
»Ich denke, ihr redet den ganzen Tag über sowas?«
»Ja, schon, wir reden den ganzen Tag, aber es wird eigentlich nichts recht klar. Wir sind zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt.«
»Womit denn?«
»Viele brauchen ein Konzept, eine Rechtfertigung, etwas, das man über das Stück stülpen kann. Sie sind unsicher, sie müssen sich erst Bedeutungen zurechtlegen.«
»Und mit so fixen Ideen soll man spielen ?«
»Nein, diese Ideen sind nur im Weg, das sage ich ja auch immer. Aber ich dringe nicht durch bei den anderen.«
»Hast du es eigentlich schwer?«
»Schwer? Wieso? Wie meinst du das?«
Ich konnte mir mit der Antwort Zeit lassen, weil einer der beiden Kellner an unseren Tisch trat, um die Bestellung aufzunehmen. Linda zeigte sich unschlüssig, sie hatte die Karte nur überflogen, das Gespräch schien sie zu beschäftigen. Ihre Gegenwart wirkte wie schon früher stimulierend auf mich, ich sprach gern mit ihr, denn sie machte gut mit, ohne sich an Vorbehalte zu klammern.
»Seezunge«, sagte ich, »nehmen wir doch beide Seezunge, dazu Salat und eine Karaffe Weißwein.«
»Einverstanden«, sagte sie sofort und schaute den Kellner aufmunternd an. »Aber weiter, wieso habe ich es schwer?«
Ich wollte mehr von ihr erfahren, aber solche nachforschenden Fragen bedurften einiger Vorsicht. Ich zögerte ein wenig, bis der Kellner sich endlich davongemacht hatte; gerade durch dieses Zögern wurde die Pause unnötig bedeutungsvoll, als kostete es mich einiges, mit der Antwort herauszurücken.
»Ich versuche, mich in deine Kollegen zu versetzen«, sagte ich. »Es könnte sein, daß sie dir nicht recht trauen.«
»Und warum nicht?«
»Wegen deines Aussehens. Von einer, die so aussieht wie du, erwartet man etwas anderes als Schauspielerei.«
»Und was?«
»Bitte, du weißt selbst, wie du aussiehst. Solche Schönheit hat etwas Überindividuelles, und das hält einen ganz auf Distanz. Auf den ersten Blick erkennt man keinen Charakter, sondern höchstens eine Form, eine in sich geschlossene, nicht antastbare Form.«
»Ist das so? Mach nur weiter, es interessiert mich.«
»Ja, deine Züge haben etwas von einem Ideal …, wenn du mich da richtig verstehst. Ein Ideal ist eine Art klassischer Komposition, jedes Element genau an seinem Platz, ohne Abweichungen. Von einer Schauspielerin würde man, jedenfalls auf dem Theater, anderes erwarten. Du wärst gut für den Film.«
»Was würde man erwarten?«
»Eine erkennbarere Prägung, eine Verletzung, eine Kerbe, etwas, das an eine Vorgeschichte erinnert.«
»Und die habe ich nicht?«
»Natürlich hast du, aber sie ist nicht erkennbar. Dein Äußeres verbirgt sie.«
»So ist das also?«
»Bitte, ich will dich
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