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Aggression: Warum sie für uns und unsere Kinder notwendig ist (German Edition)

Aggression: Warum sie für uns und unsere Kinder notwendig ist (German Edition)

Titel: Aggression: Warum sie für uns und unsere Kinder notwendig ist (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jesper Juul
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nicht, wenn du mich schlägst, und ich will, dass du damit aufhörst! Trotzdem würde ich gerne wissen, womit ich dich so wütend gemacht habe?« – Diese Mitteilung macht dem Kind klar, wer ich bin, und signalisiert ihm, welche eine meiner wichtigen Grenzen ist; ich mache damit das Kind nicht schlecht oder beschuldige es, dass es noch nicht imstande ist, seine Frustration verbal mitzuteilen und stattdessen seine Fäuste, den Kopf oder die Beine einsetzt. Im Gegenteil, ich teile ihm mit meinen Worten mit: Ich weiß, dass du mich nicht hasst und mich auch keinesfalls verletzen möchtest, aber dass etwas in der Kommunikation zwischen uns nicht gut gelaufen ist. So könnte sich das zeitweilige Kommunikationsdefizit aufklären oder vielleicht auch nicht. Jedenfalls ist es meiner Antwort auf seine Gebärden gewiss gelungen, seine Frustration zu zerstreuen, und – was noch viel wichtiger ist – durch meine Reaktion habe ich ihm zu verstehen gegeben: Ich bin interessiert und bereit, dir zuzuhören, auch wenn deine Wut von etwas ausgelöst worden ist, was ich getan oder gesagt bzw. nicht getan oder gesagt habe. Mit anderen Worten: Zwischen uns bleibt die Tür für zukünftige Konflikte offen und wird nicht vor deinem Gesicht zugeknallt. – Das mag zwar eine dramatische Ausdrucksweise sein, aber ich muss sie verwenden, denn genauso fühlt es sich für einen kleinen Menschen an, wenn er für sein frustriertes Verhalten verurteilt und schlechtgemacht wird – eine moralisierende, negative oder kritische Zurechtweisung bringt diese Härte mit sich.
    Das Kind kann nicht wissen, dass die Mutter lediglich versucht, ihm ein angemessenes Verhalten beizubringen, es fühlt, dass etwas mit ihm nicht in Ordnung ist. So kommt persönliche Kritik bei den Kindern immer an. Sie können zwischen ihrem Verhalten und dem, was sie sind, nicht unterscheiden – das heißt: zwischen ihren Aktionen und ihrem Wesen. Deshalb sind Kinder so verletzlich und wird es für sie schließlich so schwierig, ein gesundes Selbstwertgefühl zu entwickeln. Dasselbe gilt allerdings auch für viele Erwachsene.
    Kinder kommen unschuldig zu ihrem Verhalten; überhäuft man ihr Dasein mit moralischer Schuld und Schuldgefühlen, ist das für ihre geistige Gesundheit und die Entwicklung einer echten sozialen Kompetenz schädlich. Und wenn Erwachsene nichts dazulernen und beharrlich bleiben, wird ihr Verhalten später von Schuld und Schuldgefühlen geprägt sein.
    Richten Erwachsene derlei Botschaften an das Kleinkind, verletzen sie dessen persönliche Integrität – und das ist aggressiv im wahrsten Sinne des Wortes. Dennoch sind sich viele Erwachsene dessen nicht bewusst und meinen, wenn sie ihre Aggression hinter einem süßen, sanften oder pädagogisch korrekten Ton verbergen, seien ihre Worte weniger gewalttätig. Doch dem ist nicht so! Zudem verwirrt die mündliche Botschaft das Kind, weil es nicht weiß, was Gültigkeit hat – der liebliche Ton oder der harsche Inhalt.
    Das, was mit einer Botschaft transportiert wird, ist von großer Bedeutung – es muss daher persönlich sein: » Mir gefällt das nicht …« und nicht: » Du sollst niemals …«. Ist eine Mitteilung persönlich formuliert, kann sie emotional von jeder Tonart begleitet werden – auch von Wut oder Traurigkeit –, sie wird das Kind nicht verletzen. Bist du wirklich äußerst wütend und schreist dir die Lunge aus dem Leib, dass du das gar nicht magst, wenn dein Kind dich schlägt, könnte es sein, dass es sich sehr erschreckt, aber deine spontane Reaktion wird seinem Selbstwertgefühl nicht schaden und seine geistige Gesundheit nicht gefährden – insbesondere, wenn du Verantwortung für deine Wut übernimmst, später zu ihm hingehst und ihm sagst: »Ich war so wütend und du so erschrocken. Tut mir leid!«, und es dann in die Arme schließt und küsst. Dein Kind wird damit sehr glücklich sein, denn es spürt: Wir sind beide Menschen. Wählst du hingegen den anderen Weg und schreibst ihm die Schuld zu für deinen Wutausbruch, wird es sich minderwertig fühlen; es wird gleichzeitig verwirrt darüber sein, dass seine Eltern so unterschiedliche Regeln haben: für ihr eigenes Verhalten und seines.
    Im Fall des zweieinhalbjährigen Kindergartenkindes, welches ein anderes kleines Mädchen gebissen hat, gilt dasselbe Prinzip: Spürst du als Erzieherin, dass du intervenieren musst, dann interveniere, indem du sagst: »Mir gefällt es nicht, wenn du andere Menschen beißt. Was wolltest du denn in

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