Aggression: Warum sie für uns und unsere Kinder notwendig ist (German Edition)
der sich in einer machtvollen und verantwortlichen Position befindet, hören will, ist man insbesondere in Schulen sehr schnell bereit, die Meinung zu vertreten, das Problem Mobbing käme von den heutigen Kindern und deren unverantwortlichen Eltern bar jeder sozialen Kompetenz. Die Direktoren betroffener Schulen heranzuziehen und ihnen nahezulegen, ihren Führungsstil zu verbessern, fällt komischerweise keinem ein. Selbst ein Führungstraining, das speziell auf menschliche Fähigkeiten abzielt, das Schuldirektoren zweifelsohne brauchen, die für mehr als 800 Menschen verantwortlich sind, steht außer Frage. Es ist viel einfacher und politisch sehr viel weniger riskant, Kinder zur Zielscheibe zu machen – immer wieder, immer wieder!
Tatsache ist, dass alle Programme, die das Ziel hatten, die Mobbing-Frequenz herabzusetzen und vorbeugend zu wirken, allein Kinder in den Mittelpunkt gestellt haben – sie sind alle gescheitert: Sie konnten ihr Versprechen nicht halten, ihre Ziele nicht erreichen. In einer Zeitspanne von zwei bis vier Jahren ist die Häufigkeit von Mobbing-Vorfällen zwar etwas heruntergegangen, um dann aber umso heftiger und vermehrter aufzutauchen. Die Forschung in Schweden und Norwegen hat diese Tatsache zweifelsfrei belegt, doch war sie nicht in der Lage oder nicht bereit, Alternativen vorzuschlagen.
Hinterfrage nicht die Kompetenz derer, die an der Macht sind, fühl dich stattdessen frei, schutzlose Kinder ungerecht zu behandeln! Das scheint die allgemeine Haltung zu sein. Diejenigen, welche die Verantwortung tragen, wundern sich dann auch noch, weshalb Kinder und Jugendliche nicht immer nett und freundlich antworten, weshalb sie nicht brav und gehorsam sind, wenn sie mit dieser Art verborgener politischer und administrativer Aggression in Berührung kommen. Tatsache ist, dass diese Haltung nichts anderes als Aggression und letztlich Gewalt ausstrahlt, während sich die Machthaber um ihren Heiligenschein kümmern.
III. Die Ursprünge der Aggression
Wie bereits erwähnt, ist Wut eine soziale Reaktion, die in unserem Gehirn als Antwort auf das entsteht, was in unseren Beziehungen geschieht oder eben nicht geschieht. Das kann etwas Sicht- oder Hörbares sein, etwas Körperliches oder etwas, das nur in unserer Phantasie existiert oder von unseren vergangenen emotionalen Erfahrungen bzw. intellektuellen Werten bestimmt ist. Unsere aggressive Reaktion wird zwar von einer anderen Person oder einer Gruppe von Menschen veranlasst, erzeugt wird sie aber in unserem eigenen Körper und steht daher in unserer eigenen Verantwortung – ähnlich verhält es sich mit Freude, sexueller Anziehung, Traurigkeit und allen anderen seelischen Reaktionen, die wir haben.
Zwar können wir unsere Wut erklären und sie dadurch rechtfertigen, dass eine andere Person etwas tut oder unterlässt, aber wir können niemanden für unsere Wut verantwortlich machen oder für schuldig erklären und dabei ein gutes Leben und konstruktive Beziehungen zu anderen haben. Wenn ich in einer Gruppe von zehn Menschen etwas sage oder tue, wird es zehn verschiedene Reaktionen darauf geben – das heißt, dass nicht meine Tat oder meine Aussage allein den anderen Menschen wütend oder froh macht. Wut ist das Resultat von Persönlichkeiten, Erfahrungen und Erwartungen, die sich kreuzen. Demnach ist es völlig sinnlos, zu behaupten, die Wut meines Freundes sei » sein Problem«. Es ist immer unser Problem, für das wir beide verantwortlich sind.
Da die meisten von uns in Familien und Institutionen groß geworden sind, in denen unsere Vorbilder größtenteils unverantwortlich waren – in dem Sinne, dass sie dazu tendierten, ihre Kinder und Schüler für ihre eigenen Reaktionen und ihr Scheitern verantwortlich zu machen –, ist es nicht leicht, zu einem verantwortungsbewussten Erwachsenen heranzureifen. Eltern wie Erzieher, Lehrer und Pädagogen weisen in ihrem aktuellen Verhalten eine Doppelmoral auf und senden den Kindern die klare Botschaft: Wenn meine Beziehung zu dir Früchte trägt, ist das mein Erfolg (oder der Erfolg meiner Methode); wenn nicht, ist es deine Schuld! (In Beziehungen zwischen Erwachsenen sieht es meist so aus, dass man den Erfolg teilt und sich gegebenenfalls für das entstandene Fiasko gegenseitig beschuldigt.)
Unter dieser Tradition haben Kinder immer gelitten – sie haben sie als Ungerechtigkeit erfahren, doch wurde ihr berechtigter Protest mit effektiven Methoden zum Schweigen gebracht und als »Behinderung«
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