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Aggression: Warum sie für uns und unsere Kinder notwendig ist (German Edition)

Aggression: Warum sie für uns und unsere Kinder notwendig ist (German Edition)

Titel: Aggression: Warum sie für uns und unsere Kinder notwendig ist (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jesper Juul
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uns nur einer Sache sicher sein: Egal, was wir unseren Kindern mit auf den Weg geben, einiges wird als wertvoll erachtet und einiges nicht. Vieles von dem, was Eltern meinen, es sei für die Kinder nützlich, führt nicht dazu, dass sich die Kinder wertvoll fühlen.
    Genauso verhält es sich in der Beziehung von Ehepartnern: Jeder will im Leben des anderen wertvoll sein. Auch wenn wir es nicht so nennen, ist es trotzdem genau das, was wir meinen, wenn wir den Wunsch aussprechen, den Partner oder die Partnerin glücklich zu machen. Ob wir wirklich wertvoll sind oder Zweifel daran haben, dass wir es sind – diese konkrete Herausforderung stellt sich meist dann, wenn der Mensch, mit dem wir zusammenleben, depressiv wird, anfängt zu trinken, immer länger und länger im Büro bleibt oder durch eine Krise geht. Viel zu häufig versuchen wir für den anderen wertvoll zu sein, indem wir ihm ständig zu Diensten sind. Das ist für den anderen vielleicht angenehm, aber in den seltensten Fällen wertvoll. Manche Menschen opfern in Beziehungen sogar ihr eigenes Wohlergehen auf, doch bereichern sie damit langfristig das Leben des Partners keineswegs. Im Fall unserer Kinder ist es genauso: Wir wollen nur unser Bestes tun und müssen akzeptieren, dass uns das nicht immer gelingen kann.
    Das Gleiche gilt für alle unsere wichtigen Beziehungen: die Beziehung zu unseren Schwiegereltern, Enkeln, Schwiegersöhnen und -töchtern, nahen Freunden, guten Kollegen und Vorgesetzten, schließlich – ganz wichtig – zu unserer Nation und Gesellschaft. Das Gefühl, nicht gebraucht zu werden und zum allgemeinen Wohlergehen nicht beitragen zu dürfen, kann dazu führen, dass ein Mensch daran buchstäblich zerbricht – das trifft insbesondere auf Männer zu, die oft nur in ihre Rolle als Familienversorger investiert haben. Es kann aber auch einem Menschen widerfahren, der in Rente geht und sich bislang gänzlich mit seinem Job oder Beruf identifiziert hat.
    Schließlich scheint das Bedürfnis, wertvoll zu sein, vor allem bei jenen Menschen aufzutreten, die eine »Arbeit mit Menschen« gewählt haben – so könnte man zumindest alle pädagogischen und therapeutischen Berufe zusammenfassen. Von Außenstehenden wird oft hinterfragt: Arbeiten Ingenieure, Köche und Richter denn nicht auch mit Menschen?! – Egal, welches der Hintergrund eines jeden Einzelnen ist, klar ist, dass bei Menschen, die Erziehungs- und Bildungsarbeit leisten oder im Bereich Psychologie und Therapie tätig sind, dieses Bedürfnis besonders ausgeprägt ist – die Kehrseite ist allerdings auch wahr: Alle neigen dazu, die Menschen, mit denen sie arbeiten, zu beschuldigen, wenn sie in ihrer Arbeit nicht erfolgreich sind. Ein unglücklicher Mangel an Professionalität, aber er existiert, ist allgemein verbreitet und wird nicht hinterfragt.
    2. Kooperation
    Das Bedürfnis, mit den Menschen, die wir lieben und von denen wir abhängig sind, zu kooperieren, ist von Geburt an tief in uns allen verwurzelt. Der Begriff »kooperieren« ist mein persönlicher Versuch, den offiziellen Begriff »anpassen« neu zu bestimmen – Letzterer klang mir immer schon nach einem passiven Phänomen. In meinen anderen Büchern habe ich den Begriff »kooperieren« ausführlich beschrieben, an dieser Stelle werde ich mich auf einige wenige Hinweise beschränken.
    Die jüngste Form von Kooperation beginnt möglicherweise im Bauch der Mutter, doch wann und wie – darüber wissen wir noch immer viel zu wenig. Was wir beobachten können, ist, wie ein Kind, nachdem es auf die Welt gekommen ist, anfängt zu lernen: indem es spielt oder die Eltern, Geschwister oder die Ersatzpersonen, die es langfristig betreuen, nachahmt (wobei Spielen und Nachahmen manchmal zusammenfließen). Nicht nur das physische Verhalten wird nachgeahmt, auch Gefühle, Stimmungen und Persönlichkeit – einschließlich dessen, was uns nicht bewusst ist.
    Das Bedürfnis zu kooperieren, gerät sehr oft in Konflikt mit dem Bedürfnis des Kindes, seine persönliche Integrität zu bewahren und zu entwickeln.
    Dasselbe Phänomen lässt sich bei Erwachsenen beobachten, die sich verliebt haben. In den ersten Jahren tun wir alles, um der geliebten Person entgegenzukommen, und wenn sich dann der Hormonpegel wieder normalisiert hat, entdecken wir plötzlich unsere eigene Integrität wieder – das heißt: unsere Grenzen und Begrenzungen, Emotionen, Werte, Überzeugungen und Träume. Das führt häufig zu einer ernsthaften Beziehungskrise –

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