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Aggression: Warum sie für uns und unsere Kinder notwendig ist (German Edition)

Aggression: Warum sie für uns und unsere Kinder notwendig ist (German Edition)

Titel: Aggression: Warum sie für uns und unsere Kinder notwendig ist (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jesper Juul
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wenn ein Elternteil zu viel Alkohol zu sich nimmt, wenn Kinder geschlagen oder sexuell missbraucht werden, wenn ein Elternteil geistig behindert ist, wenn sich Eltern scheiden lassen, wenn ein Elternteil oder eines von den Geschwister einen Selbstmordversuch macht, wenn ein Brief aus der Schule die Eltern verärgert, wenn das Bedürfnis des Kindes, zu kooperieren und sich anzupassen, nicht anerkannt und durch ein striktes, manipulatives »Großziehen« ersetzt wird, wenn Eltern primär auf die Zukunft des Kindes fokussiert sind und nicht auf sein momentanes Befinden, wenn Mutter oder Vater eine Affäre haben, wenn das Kind dauernd korrigiert und kritisiert wird, wenn es der Mutter auf die Nerven geht und den Vater ärgerlich stimmt, wenn es behinderte Geschwister hat, wenn, wenn, wenn … Die Liste ist unendlich lang.
    Ungefähr die Hälfte aller Kinder versuchen, ihr Unwohlsein zu verinnerlichen; sie werden introvertiert, leicht zu handhaben und versuchen, nicht mehr Wind als nötig zu machen. Der Großteil dieser Kinder sind noch immer Mädchen, und du musst ihnen sehr nah sein, um den dunklen Schatten zu erkennen, der sich um ihre Augen, vielmehr um ihr Gemüt gelegt hat. Die andere Hälfte wird den Mangel an Wohlbefinden nach außen tragen und später »ausleben«, wie man das unglücklicherweise formuliert. Das betrifft – wie wir alle wissen – Jungen; sie sind zur Lieblingszielscheibe jener Erwachsenen geworden, die das Aggressionstabu hochhalten.
    Demnach gelingt es manchmal, das aggressive Verhalten eines Kindes auf direktem Wege und logisch zu entschlüsseln: Mein Vater schlägt mich, also schlage ich andere Kinder, wenn sie mich ärgern! Mein Vater schlägt meine Mutter, und ich liebe meinen Vater, also schlage ich kleine Mädchen und Lehrerinnen. Doch häufig geht das Puzzle nicht so einfach auf, es ist viel komplexer, und das Phänomen, das die Verzweiflung eines Kindes verursacht, ist sehr viel subtiler.
    Im vorliegenden Buch will ich nicht alle möglichen Hintergründe für das aggressive und selbstdestruktive Verhalten von Kindern eruieren, denn ich befürchte, das würde den Leser von der wichtigsten Botschaft ablenken – von der Botschaft, die besagt, dass jedes aggressive und selbstdestruktive Verhalten eines Kindes oder Jugendlichen als eine Einladung verstanden werden sollte . Wenn diese Kinder und Jugendlichen so sprachgewandt wären, wie sie empfindlich sind, würde sich ihre Einladung anders ausnehmen.
    Hallo, existiert dort draußen jemand, der wünscht, meine Welt kennenzulernen, und der versuchen will, das Leben aus meiner Perspektive zu erfahren? Ich fühle mich in der letzten Zeit nicht gut und kann alleine nicht herausfinden, was sich machen lässt!
    Nimm diese Einladung von drei oder vier Kindern an, und du wirst merken, dass meine Botschaft wahr ist! Immer! Jeder freundliche Erwachsene, der eine Beziehung zu einem Kind hat, kann sich davon überzeugen, indem er sich auf das Kind einlässt. Das erfordert keine spezielle Ausbildung, pädagogische Methode oder außergewöhnliche Begabung, sondern lediglich den guten Willen, genau das zu »sehen«, was vor der Nase liegt, und der Geschichte, die das Kind erzählt, sein Ohr zu schenken, ganz einfach zuzuhören, ohne gleich Schlussfolgerungen zu ziehen und hyperaktiv nach Lösungen fürs Kind zu fahnden. Geht man in dieser Weise mit einem Kind um, wird sein aggressives Verhalten sehr schnell verschwinden. Mehr dazu in einem späteren Kapitel. (Siehe Kapitel IV . »Aggression integrieren« )
    Jetzt verstehen vielleicht alle, warum mich dieses neue Tabu aufregt. Es ärgert mich, weil es mit sich bringt, dass Familien und Institutionen den Kindern verbieten, um Hilfe zu rufen – und zwar in der einzigen Sprache, die sie gut beherrschen, wenn sie in Not sind. Indem wir ihr Verhalten an moralischen und ideologischen Kriterien messen und verurteilen, bestätigen wir und speisen nur ihre Erfahrung, dass sie wertlos sind, dass sie keine Bedeutung als menschliche Wesen haben. Diese Art von Unterdrückung ist eine Replik auf die Art, wie Frauen über Generationen in ihre Schranken verwiesen wurden durch die Psychiatrie, die sie – wenn sie mehr als zwei Emotionen gleichzeitig ausdrückten – als Hysterikerinnen oder irrationale Wesen abstempelte; durch die Ehemänner, die sie in die Küche schickten, um sich dort abzureagieren, wenn sie denn nicht »auf eine zivilisierte Art sprechen können«.
    Mütter, Erzieherinnen, Lehrerinnen – die

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