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Aggression: Warum sie für uns und unsere Kinder notwendig ist (German Edition)

Aggression: Warum sie für uns und unsere Kinder notwendig ist (German Edition)

Titel: Aggression: Warum sie für uns und unsere Kinder notwendig ist (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jesper Juul
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Enkelinnen und Großenkelinnen dieser unglücklichen Frauen – tun heute dasselbe mit den Kindern, die man ihnen anvertraut hat: Sie lehnen deren aggressive Ausbrüche ab und nehmen sie nicht ernst; sie erwarten, dass vierjährige Kinder in der Lage sein sollen, ihre Frustration auf einem intellektuellen Niveau auszudrücken. Der Großteil dieser Frauen ist meist selbst nicht in der Lage, sich in der Ehe oder in anderen erwachsenen Liebesbeziehungen vernünftig zu verhalten – zumindest nicht, solange sie nicht zehn- oder fünfzehnmal in völlig irrationaler Weise durch ein und denselben Konflikt gegangen sind.
    Ich gehe davon aus, dass Erzieherinnen, Lehrerinnen und Pädagoginnen überzeugt sind, eine gute und edle Sache zu verfolgen. Tatsache ist jedoch, dass sie Kinder in ihrer Verzweiflung völlig vernachlässigen und außen vor lassen, und die vielen Therapeuten, an die sie ihre »problematischen« Kinder verweisen, setzen der Vernachlässigung noch eins drauf, indem sie die sozialen Wurzeln der Aggression ignorieren und Aggression als »soziales Problem« oder als »Mangel an sozialer Kompetenz« definieren.
    Kann etwas sozialer und sozial kompetenter sein, als deinem Netzwerk mitzuteilen, dass du in Not bist und Hilfe brauchst?

Wie Kinder kooperieren
    Aggressives Verhalten hat manchmal im Leben eines Kindes zwei Quellen: das Gefühl, nicht mehr wertvoll zu sein, und das Verhalten seiner Vorbilder. Bislang hat sich die Wissenschaft lediglich für Letztere interessiert, darüber sind einige große Studien gemacht worden. In den meisten dieser Studien ging es um die Frage, ob die Kinder mit einem gewalttätigen Vater aufgewachsen sind oder nicht. Sind Kinder (sprich: Jungen) häuslicher Gewalt ausgesetzt, werden sie als Erwachsene aggressiv und gewalttätig. Fast alle Studien dieser Art zogen die Schlussfolgerung, dass das bei 48 bis 54 Prozent der Kinder der Fall ist. Demnach führt das Aufwachsen mit gewalttätigen Eltern nicht notwendigerweise dazu, dass aus den Kindern gewalttätige Erwachsene werden. Die Wissenschaftler, die hinter diesen Studien stecken, scheinen zwei Dinge gemein zu haben: Sie sind nicht an den Kindern und Jugendlichen interessiert, und sie sind sich dessen nicht bewusst, dass es zwei Möglichkeiten gibt, in denen Kinder kooperieren und sich an das, was in der Familie geschieht, anpassen.
    Wenn wir das Phänomen, das ich bevorzuge, Kooperation zu nennen, vereinfachen wollen, können wir behaupten, dass Kinder sowohl das innere als auch das äußere Verhalten ihrer Eltern »kopieren«. Meist ahmen sie eher den einen Elternteil nach als den anderen – das tun sie je nachdem, wie die Eltern miteinander umgehen. Man stelle sich vor, von einem Dokument eine Kopie auf einem Kopierer zu machen! Man weiß, man kann eine einfache einseitige Kopie, aber auch eine Kopie der Rückseite machen. Ungefähr die Hälfte aller Kinder macht eine einfache Kopie – eins zu eins; die andere Hälfte »kopiert« die Rückseite. Die Neurowissenschaft hat vor kurzem herausgefunden, was das Herstellen der Kopien eins zu eins möglich macht: Es sind die Spiegelneuronen. Hoffentlich werden sie uns bald offenbaren, wie das Kopieren der Rückseite zustande kommt.
    Das Phänomen, auf zwei Arten zu kooperieren, beginnt bereits mit der Geburt und ist keineswegs auf eine bewusste Entscheidung des Kindes zurückzuführen. Selbst Geschwister, die dieselben Eltern haben, kooperieren jeweils unterschiedlich – jedes Kind auf seine Weise. So erklärt sich die Statistik, die ich vorhin erwähnte. In einer Familie, in der es öfters zu Wutausbrüchen und Gewalt kommt, wird ein Kind (meist sind es die Jungen) die einfache »Kopie eins zu eins« repräsentieren und ein destruktives, aggressives Verhalten annehmen. Das andere Kind wird sich genauso aggressiv verhalten, nur wird es die Aggression verinnerlichen und gegen sich selbst richten. Die oben erwähnten Studien berücksichtigen diesen selbstdestruktiven Aspekt nicht oder sie definieren ihn nicht als »reale« Gewalt.
    Daraus folgt: Aggression – egal, aus welcher der beiden Quellen sie stammt – führt zu Mord oder Selbstmord, wenn Kinder in ihrem emotionalen und existentiellen Kontext nicht »gesehen«, sondern immer nur beobachtet und zurechtgewiesen werden. Mit anderen Worten: wenn ihre Einladung ignoriert und nicht angenommen wird.
    Die beiden Arten von Kindern, mit Aggression, Gewalt und Missbrauch umzugehen, konfrontieren die Gesellschaft mit einer akuten

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