Aggression: Warum sie für uns und unsere Kinder notwendig ist (German Edition)
nächsten Generationen von Frauen.
Männer explodieren für gewöhnlich eher in unkontrollierte Wut oder suchen ein Refugium in der Stille und im Rückzug – der etwas »autistischere« Weg. Bevor Männer emotional gereift sind und in der Lage waren, sich in einer nuancenreicheren Weise auszudrücken, waren das ihre beiden extremen Reaktionsmuster.
Kultur
Kultur spielt im Umgang mit unseren Emotionen eine große Rolle. In einigen Kulturen – beispielsweise der skandinavischen – neigen Menschen zur Introvertiertheit, während im Mittelmeerraum Menschen meist viel extrovertierter sind. Die existentiellen und seelischen Krisen sind dieselben, wir teilen dieselben Erfahrungen, nur gehen wir unterschiedlich damit um – kulturell bedingt haben wir einen jeweils anderen »Stil« und kommen mit unseren Emotionen sehr unterschiedlich zurecht.
So hat auch jede einzelne Familie ihre spezifische Kultur im Umgang mit Emotionen. In manchen Familien sind emotionale Ausbrüche unerwünscht, in anderen klingen die unterschiedlichsten Töne und Melodien an. Kinder gehen damit unterschiedlich um: Manche – meist die Erstgeborenen – neigen dazu, den herrschenden Stil anzunehmen, während die jüngeren Geschwister andere Wege gehen.
Insbesondere das Bündel von Emotionen, das wir »aggressive Emotionen« nennen, wird in ganz verschiedenen Modi aufgenommen – sie hinterlassen bei den heranwachsenden Kindern immer Spuren. Manche Menschen sind in Familien aufgewachsen, in denen es viele Konflikte sowie verbale und physische Drohungen gab; als Erwachsene entwickeln sie häufig eine strenge Anti-Aggressions-Haltung. Sie wollen einfach nicht, dass ihre Partner und Kinder denselben Albtraum erleben wie sie selbst. Andere wiederum sind in Familien aufgewachsen, in denen es mindestens die gleiche Zahl von Konflikten gab, jedoch wurden diese alle immer unter den Teppich gekehrt und kamen nie zum Vorschein; als Erwachsene neigen sie oft zu einer Anti-Aggressions- und Anti-Konflikt-Haltung. Es könnte sein, dass sich Erstere wie Letztere vor demselben Dilemma wiederfinden: Konflikte in Liebesbeziehungen zu vermeiden ist unmöglich! Bloß haben beide in ihren Ursprungsfamilien nicht gelernt, wie man mit Konflikten fruchtbar umgeht. Demnach werden sie sich mit ihrer eigenen Aggression konfrontieren müssen, sie werden versuchen, die aufgekommenen Emotionen zu integrieren. Sie werden reale und nicht nur vorgestellte Formen des Zusammenlebens entwickeln müssen – und das bedeutet konkret, dass sie den aggressiven Emotionen genauso Raum geben wie den zärtlichen.
Das Selbstwertgefühl
Menschen mit einem gesunden Selbstwertgefühl haben selten Probleme mit Aggression – weder mit ihrer eigenen noch mit der ihrer Mitmenschen –, da sie in einer Familienatmosphäre aufgewachsen sind, in der die breite Skala der Gefühle zum Tragen kommen konnte und geschätzt wurde (als Erwachsene tragen diese Menschen gerne für das Verantwortung, was sie in die Hand nehmen). Doch diese Art von Familienatmosphäre war vor nur einer Generation die absolute Ausnahme, so dass mangelndes Selbstvertrauen sich fast wie eine Volkskrankheit durch alle Länder und Kulturen zieht. Hier ist Erziehung von Kindern heute noch nichts anderes, als sie zu formen und wie Bonsai-Bäume zurechtzustutzen. Der Mangel an Vertrauen in die Fähigkeit von Kindern, zu kooperieren und sich anzupassen – und damit sich diese Fähigkeit entwickeln kann, braucht es Zeit und empathische Begleitung seitens der Erwachsenen –, ist selbstverständlich entscheidend für deren Erfahrung, wertvoll zu sein, und folglich auch für ihren Frustrationspegel. Wenn zudem das Verhalten ihrer Vorbilder von einer geringen Selbstachtung bestimmt ist, wird der Aggressionspegel entsprechend hoch sein.
Eine der grundlegenden Eigenschaften von Menschen mit einem geringen Selbstwertgefühl ist die Schwierigkeit, ihre »echte Größe« einzuschätzen. Sie sind entweder unscheinbar, schüchtern, unentschlossen und unsicher oder befehlshaberisch, selbstgerecht, dominant und kritisch gegenüber anderen Personen. Beide Extreme tendieren dazu, Feedbacks hervorzurufen, die ihr grundlegendes Gefühl, nicht wertvoll zu sein, bestätigen, und folglich verfestigt sich ihr persönlicher Stil, was möglicherweise zu einem toten Punkt oder Circulus vitiosus führt, und irgendwann eskaliert die Situation.
Wenn Aggression ausbricht
Aggressives Verhalten beginnt, wenn der ruhige Fluss der Interaktion blockiert ist und
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