Agrippina - Kaiserin von Rom
zur Kenntnis, dass er neben den üblichen Postsäcken zwei Militärtribune zu befördern habe. Die Vesta war ein Dreisegler mit gedrungenem Schiffsrumpf ohne Ruderer. Ein kleiner Deckaufbau ersetzte die Kajüten. Sie verfügte über eine kleine Besatzung von sechs Matrosen.
»Allzu viel Komfort dürft ihr nicht erwarten, ihr Herren«, sagte er und strahlte die beiden Männer mit zwei Reihen ebenmäßiger weißer Zähne aus einem schwarzbärtigen Gesicht an. »Die Vesta hat sonst nie Passagiere, und unsere einzige Sorge besteht gewöhnlich darin, dass die Postsäcke nicht nass werden.«
»Das ist unsere geringste Sorge«, meinte Valerius und blickte in den trüben, wolkenverhangenen Himmel. »Wie lange werden wir bis Rom brauchen?«
»Bis Rom? Normalerweise nicht mehr als zwei Tage, wenn der Wind weiter so günstig steht. Aber da wir vorher vier andere Häfen anlaufen, kommen zwei Tage dazu.«
»Siehst du, Archygenes, genau das ist unser Problem. Wir müssen sofort nach Rom, ohne Umweg und ohne andere Häfen anzulaufen.«
»Davon steht aber im Transportbefehl nichts drin, und außerdem ist das völlig ausgeschlossen. In den anderen Häfen warten sie auf die Post. Befehle, Anweisungen, Truppenverlegungen, das kann nicht warten! Ihr werdet euch schon gedulden müssen.«
Valerius senkte seine Stimme und nahm die kaiserliche Sondervollmacht aus seinem Offiziersmantel. »Wirf einen Blick auf dieses Dokument, tapferer Archygenes, und dann sag mir, ob das nicht doch geht.«
Aufmerksam studierte der Grieche die Sondervollmacht. Seine Stirn legte sich in Falten und er kratzte sich unschlüssig an seinem bärtigen Kinn. »Hm ..., das verändert die Situation. Aber trotzdem,es kann mich den Kopf kosten. Wenn ich euch nach Rom bringe, dann seid ihr weg und mit euch dieses herrliche, vom edlen Narcissus unterschriebene Dokument. Und wer wird mir später glauben, dass ich aufgrund dieses Dokuments handelte?«
Valerius beschloss, dem Zögern des Griechen abzuhelfen, und griff einmal mehr in den Goldbeutel der Kaiserin, obwohl er sich der Tatsache bewusst war, dass Agrippina gerade diesen Zweck aufs Höchste missbilligt hätte. Ein glänzender Aureus kam zum Vorschein und spiegelte sich matt im kargen Sonnenschein.
»Aber das ist doch ...«
Valerius unterbrach den aufkeimenden Protest. »Hör mir zu, Archygenes. Der Kaiser ist in großer Gefahr! Es handelt sich hier nicht um eine Bestechung, sondern wir müssen einfach alles versuchen, um rechtzeitig in Rom zu sein. Es geht um Leben und Tod.«
Der Schiffsführer sah den Offizier lange an. Das angebotene Goldstück bedeutete für ihn fast einen Monatssold. »Wenn es so steht, Tribun, dann steck dein Gold ein! Wenn der Kaiser in Gefahr ist, und ich habe keinen Grund, am Wort eines vorgesetzten Offiziers zu zweifeln, dann werde ich alles tun, was ich kann, um zu helfen.« Dann schrie er durch den auffrischenden Wind: »Steuermann, luvt an, hart an den Wind! Neuer Kurs Süd-Südost!«
Eine stramme Böe erfasste das kleine Schiff. Das Schiff legte sich durch den neuen Kurs nach Steuerbord, und ein Schwall Wasser kam mittschiffs über das Deck und durchnässte die Männer. Abschätzig blickte der Kapitän auf die Kleidung der Offiziere. »Eure Uniformen helfen euch hier an Bord nicht. Simeos, bring zwei Cuculi für die Herren Tribune!«
Der Matrose brachte zwei schwere Seemäntel mit Kapuzen, in die sich Valerius und Gaius dankbar einhüllten. Der Wind frischte währenddessen weiter auf und wuchs sich nach einer Stunde zu einem regelrechten Sturm aus.
»Haltet euch fest, damit ihr nicht noch über Bord geht!«, schrie Archygenes. Die beiden Offiziere zogen es vor, sich in den kleinen Deckaufbau zurückzuziehen, aber auch dort schlug ihnen der Wellengang erheblich auf den Magen.
»Ich glaub’, mir wird schlecht«, keuchte Gaius mit grünem Gesicht. Sekunden später hielt er sich krampfhaft an der schmalen Holzreling fest und erbrach sich. Valerius ging es nicht viel besser. Grinsend beobachteten die Matrosen, wie die Männer an der Reling standen und sich eines um das andere Mal erleichterten, bis nur noch grüner, galliger Schleim den gepeinigten Magen verließ. War den beiden Landoffizieren auch speiübel, so hatte der Sturm doch ein Gutes: Er trieb das Schiff mit hohem Tempo in die gewünschte Richtung.
»Wenn der Wind jetzt raumt, war alles umsonst!«, rief Archygenes. »Dann müssten wir gegen den Sturm kreuzen und würden die Zeit wieder verlieren, die wir bisher
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