Agrippina - Kaiserin von Rom
sein.
»Schau dir diese Massen an«, erwiderte Gaius missmutig. »Gibt es irgendwo eine Gratiszuteilung? Es ist unglaublich, was sich hier abspielt. Ich hatte den Gestank und den Lärm dieser Stadt fast schon vergessen. Vermisst du nicht die klare Luft und die Ruhe der germanischen Wälder?«
»Nein, mein Freund! Ich habe mich nach Rom gesehnt, so wie es ist! Was du hier siehst, ist das pralle römische Leben. Die Ubierstadt ist dagegen doch recht provinziell. Aber komm jetzt, wir wollen keine Zeit verlieren! Uns erwartet eine schwere Aufgabe. Heil dem Cäsar!«
XXII.
Kaiser sterben einsam
Oktober des Jahres 54 n. Chr.
In allen Gängen des kaiserlichen Palastes brennen die kleinen Kohlebecken, um die zugige Kälte zurückzudrängen. Auch im Triclinium breiten sie eine angenehme Wärme aus. Behaglich räkelt sich Tiberius Claudius Nero Germanicus auf seiner Liege.
»Die Bäder in Sinuessa haben mir gut getan, meine Liebe. Bei den Göttern, ich fühle mich frisch und ausgeruht wie lange nicht mehr. Und hungrig dazu!«
Neben dem Kaiser, dessen Teller bereits leer ist, ruht die Augusta , die träge und ohne Appetit von ihren Pilzen nascht. Ihnen gegenüber liegen die beiden jungen Prinzen, Britannicus und Nero. Gelangweilt sehen sie einem Akrobaten zu, der in unglaublichen Verrenkungen mit Schwertern balanciert. Hinter dem Kaiser steht Halotus, der Praegustator . Seine Aufgabe ist für den Augenblick erfüllt, denn der Kaiser scheint sein Mahl beendet zu haben. Doch der schielt auf Agrippinas Teller.
»Isst du deine Pilze nicht? Sie sind doch köstlich wie immer! Ich liebe Pilze und ...«
»Möchtest du von meinen haben?«, fragt die Augusta und reicht ihm ihren Teller.
»Gerne, meine Liebe. Es wäre doch zu scha... schade, wenn man sie nicht ...« Schon hat er ihren Teller ergriffen und schaufelt die Pilze in seinen gefräßigen Schlund. Halotus hat alles aufmerksam beobachtet. Ein Vorkosten ist nicht nötig, denn es sind ja die Pilze der Kaiserin. Mit einem flüchtigen Gruß verabschiedet sich der junge Nero. Ihn langweilen die unendlich langen Mahlzeiten mit dem Kaiser. Er wird nach seiner jungen Frau sehen, die fiebert. Nichts Schlimmes wahrscheinlich, aber ... Auch der Akrobat hat seine Vorführung beendet, packt seine Schwerter zusammen und verlässt mit mehreren Verbeugungen den Raum.
Plötzlich erhebt sich der Kaiser ruckartig. Mit vorquellenden Augen betastet er wild gestikulierend seinen Leib. »Oh, das brennt wie Feuer! Was sind das für Schmerzen? Es ist ...« Seine Stimme bricht plötzlich ab, und der kräftige Körper sinkt in sich zusammen.
»Was ist dir, Liebster?« Agrippina ist aufgesprungen und eilt besorgt zu ihrem Gatten. Der Kaiser aber bringt kein Wort heraus. Sein Gesicht ist aschfahl, und er windet sich vor grauenvollen Schmerzen.
»Ein Arzt! Schnell! Holt den Xenophon!«, ruft Agrippina und beugt sich über Claudius, der schon die Besinnung verloren hat. Halotus eilt zur Tür und gibt den Befehl an die Wache weiter. Sekunden später, als habe er vor der Tür gewartet, betritt Xenophon mit einem Gehilfen das Zimmer. Gemeinsam schaffen sie den schweren Leib des Bewusstlosen ins Cubiculum. Leichenblass und vor Angst zitternd, betrachtet Britannicus das Szenario.
»Er muss sich erbrechen!«, sagt der Medicus sachlich und führt eine Pfauenfeder in den Rachen des Kaisers. Das tut seine Wirkung. In krampfartigen Stößen erbricht Claudius seine letzte Mahlzeit. Pilze und Gemüse erreichen unverdaut die Auffangschüssel. Der Kaiser stiert aus halb geschlossenen Augen auf die Kaiserin. Sprechen kann er nicht. Seine Augen schließen sich wieder. Sein Atem geht nur mühsam.
»Er muss jetzt ruhen«, sagt Xenophon und blickt die Kaiserin durchdringend an. »Das hat ihm Erleichterung gebracht, mehr kann man im Augenblick nicht tun. Ruhe, vor allem Ruhe braucht er jetzt.«
Agrippina schickt alle Bediensteten nach draußen. »Ihr habt gehört, was der Arzt gesagt hat. Wenn ich euch brauche, rufe ich euch.«
Auch Britannicus hat das Schlafzimmer seines Vaters verlassen und zieht sich besorgt in seine Räume zurück. Auf dem Flur begegnet er Nero, seinem Adoptivbruder. Wortlos gehen sie aneinander vorbei, doch Britannicus meint, in den Augen des jungen Rotschopfes kurz ein triumphierendes Blitzen zu sehen ...
Das kaiserliche Cubiculum ist völlig abgedunkelt. Eine kleine Öllampe neben dem Bett spendet ein karges Licht. Stöhnend presstder Kaiser die Hände auf den Magen, in dem es wie mit
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