Agrippina - Kaiserin von Rom
Stelle aus den Bucolica , aus der vierten Ekloge?«
»Du meinst ...?«
»Ich meine jene Stelle«, unterbrach ihn Agrippina mit triumphierender Stimme und begann pathetisch zu deklamieren:
Die große Reihe der Zeitalter wird neu geboren.
Jetzt kehrt auch die Jungfrau, kehrt Saturnus’ Reich wieder,
jetzt wird ein neues Geschlecht hoch vom Himmel herabgesandt.
Sei du nur dem Kinde, das geboren wird, mit dem zuerst das
eiserne Geschlecht
aufhören und in der ganzen Welt das goldene sich erheben wird,
gnädig und hold, edle Lucina ...
Und er nennt das Kind teures Götterkind und Jupiters hohen Zuwuchs , hörst du Tribun? Kannst du da noch einen Zweifel haben, dass damit mein Lucius gemeint ist, geboren von höchster Abstammung, die edle Krone des julisch-claudischen Geschlechts, Nachfahre und Liebling der Götter, bestimmt dazu, der Welt und Rom das goldene Zeitalter zurückzubringen, wie es Ovid einst beschrieben hat?«
Mit geröteten Wangen lehnte sich Agrippina zurück. Sie hatte sich regelrecht in Rage geredet. Aufgeregt nestelte sie an ihrem Schal herum, als sei sie der Faszination ihrer eigenen Worte erlegen. Hastig nahm sie einen Schluck Wein und fuhr mit fester Stimme fort: »Warum also warten, bis die Götter in ihrer unendlichen Langmut den Lebensfaden des alten Mannes abschneiden? Ist es nicht meine Verantwortung für Volk und Staat von Rom gewesen, den Göttern meine Hand zur Hilfe zu reichen? Habe ich nicht den Staat so gerettet wie Cicero es einst tat, als er gegen Catilina einschritt, oder Marius, als er unser Vaterland vor den furchtbaren Horden der Cimbern und Teutonen rettete? Brutus rettete die Res publica vor der Tyrannei eines Cäsar. Unsere Nachfahren werden meinen Namen dereinst zusammen mit jenen Namen im Munde führen, wenn die Verblendung der Vernunft gewichen ist. Was du für Niedertracht halten magst, ist in Wahrheit Größe, und wahre Größe zwingt mitunter dazu, Opfer zu bringen.«
»Indem du deinen Gemahl hast vergiften lassen«, erwiderte Valerius voller Bitterkeit.
»Vergiften! Das ist ein hartes Wort, das du aus deinem Wortschatz streichen solltest. Wahr ist, dass es dessen nicht bedurfte. Es war eine bedauerliche Krankheit, die meinen Gatten dahinraffte.« Agrippina log mit einer Dreistigkeit, die Valerius fast Respektabgenötigt hätte. Er zuckte resignierend mit den Schultern. »Was geschieht jetzt mit mir?«, fragte er hilflos.
»Wirf einen Blick auf dieses Papier.« Agrippina war erneut aufgestanden und hatte einen Papyrus geholt, den sie Valerius reichte. Der Tribun überflog das Papier – und wurde blass.
Kaiserliche Verfügung
Hiermit verfüge ich, dass der Tribun Marcus Valerius Aviola
wegen Hochverrats mit dem Tode zu bestrafen ist. Der Henker
wird ihn mit dem Schwerte vom Leben zum Tode bringen.
Das Besitztum der Valerier ist einzuziehen, und die Familie
hat sich in das Exilium zu begeben, mindestens fünfhundert Milia
von Rom entfernt. Das Urteil ist umgehend zu vollstrecken.
Eine Berufung findet nicht statt.
Nero Claudius Augustus Germanicus Cäsar
gegeben zu Rom, Id. Oct. anno 807 a. u. c.
»Meine Familie! Was bei den Göttern hat meine Familie damit zu tun! Meine Eltern sind alt und befinden sich sozusagen bereits im Exil. Also lasst wenigstens ...«
»Schweig, Tribun!« Mit einem Lächeln nahm Agrippina das Schriftstück wieder an sich und – zerriss es in Fetzen. Dann ging sie zu einem der Kohlebecken und überließ die Reste den Flammen. Valerius starrte sie verwundert an.
»Mein lieber Sohn hat etwas ... wie soll ich sagen ... zu heftig reagiert. Er ist noch jung und wird lernen müssen, solche Entscheidungen über Leben und Tod nicht aus einer Laune heraus zu fällen. Außerdem steht einem jungen Herrscher die Gnade gut zu Gesicht. War es nicht gerade die Clementia , derentwegen alle, selbst seine Feinde, den großen Caear so liebten? Immerhin hast du in meinem Auftrag gehandelt, nicht wahr, und vielleicht, wer kann das wissen, werde ich mich deiner später noch einmal bedienen müssen. Und, bei Juno , du hast Recht, deine Eltern sollten wirklich nicht für ein Vergehen des Sohnes büßen. Sei unbesorgt, ihnen wird nichts passieren. Genauso wenig wie dir! Vergiss also nie, was ich soeben getan habe.«
»Du ... du hast mir das Leben gerettet«, krächzte Valerius.
»So könnte man es ausdrücken«, lächelte die Augusta. »Und nun hör zu: Du kehrst in meine Stadt zurück und wirst nach deinen besten Kräften dort für Rom als
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