Agrippina - Kaiserin von Rom
durchziehen die Gassen, und auch die Spuren entleerter Nachttöpfe oder erbrochener Mägen sind allerorts zu sehen. Die wenigen Müßiggänger, die sich in dieses traurige Viertel verirren, tun gut daran, mit großen Schritten über das Pflaster zu eilen.
Hier wohnen die, die das Schicksal vergessen hat: die Armen ohne Mittel und die Alten ohne Hoffnung, die Tagelöhner und Hungerleider, die tagsüber das Forum bevölkern und hoffen, dass eine kleine Arbeit für sie abfällt, die Tagediebe und Beutelschneider, die im Schein der spärlichen Öllampe den Ertrag ihrer finsteren Geschäfte zählen. Die Subura von Rom findet man hier in ihrer provinziellen, aber nicht weniger üblen Form. Auch Dirnen und Tänzerinnen, Wahrsagerinnen und obskure Heilerinnen trifft man hier an, betagt und für ihr Gewerbe längst zu alt oder zu ungeschickt. Immer länger dauert die morgendliche Prozedur, um dem Gesicht einen Hauch von Menschlichkeit zu verleihen, kaum noch reichen die Tiegel und Töpfe, und immer schwerer wird es, die Zeichen des Alters und des wüsten Lebens zu überschminken.
» Honoria! Honoria, wo bleibst du denn. Will... willst du denn, dass i... ch verdurste?« Laut und grell schallt die weinschwere Stimme des Mannes durch das ärmliche alte Haus am Flussufer. Auf einer Liege räkelt sich ein glatzköpfiger Mann von kräftiger Statur,der schwere Kopf baumelt hin und her, die leeren Augen starren glanzlos an die kahle Wand, von der der Putz schon vor Jahren herabgefallen ist.
Die blassrote Tunica des Mannes ist schmutzig und von Weinflecken gezeichnet. Niemand hätte in diesem, von Trunkenheit gezeichneten Zerrbild eines Mannes den ehemaligen Aedil der Ubierstadt erkannt. Publius Statilius Taurus war einmal, wie es der Beiname andeutet, ein Stier von Mann. Aber Alkoholexzesse und ein mehr als ausschweifendes Leben, das nichts ausließ, hatten ihren Tribut gefordert. Seine Amtszeit als Magistratsbeamter war abgelaufen, und niemand der Verantwortlichen wäre auf die Idee gekommen, sie zu verlängern. Aus Rom war gar die Maßgabe gekommen, ihn unverzüglich abzulösen, und selbst die Tatsache, dass er in früheren Zeiten als Vertrauter Agrippinas gegolten hatte, änderte daran nichts. Oder hatte diese Tatsache das abrupte Ende seiner Karriere gar beschleunigt?
Jedenfalls hatte Statilius Taurus sich nie mit diesem jähen Ende seiner Laufbahn abfinden können und von da an dem Wein umso heftiger zugesprochen. Wer trinkt um zu vergessen, vergisst das Trinken nie!
»Hon... Honoria, alte ... hicks ... alte ... Weinschnepfe, wo bist du denn?«
Honoria, die Witwe des Töpfers Gaius Honorius, dessen Geschäftsschild immer noch an der Haustür hing, obwohl sich seit Jahren kein Kunde mehr hierhin verirrt hatte, mochte einmal als Schönheit gegolten haben. Jetzt aber hatten die ausschweifenden Jahre mit Statilius auch an ihr herbe Spuren hinterlassen und waren auch nicht mit einem Übermaß von Antimon und Schminke zu entfernen.
Langsam betritt sie das Triclinium, den unvermeidlichen Weinkrug in der Hand. Schwerfällig tasten sich die trüben Augen durch den Raum. Mit der Hand versucht sie, das Haar, das in langen Strähnen wirr herunterhängt, zu ordnen. Auch Honoria, seit mehr als zehn Jahren Geliebte des Aedils , hat bessere Zeiten gesehen. Nun geht sie mit ihm den abschüssigen Weg in eine ungewisse Zukunft.
Endlich hat sie Statilius erreicht. Der nimmt ihr unwirsch den Krug aus der Hand und stößt sie mit einem derben Fluch weg. Daskennt sie, aber sie hat sich daran gewöhnt. Seufzend blickt sie durch das Fenster. Von draußen sendet der Mond fahle Strahlen in den dunklen Raum, den nur drei Öllampen spärlich erhellen.
»Mach do... doch die Tür auf, hö... hörst du nicht, dass es geklopft ha... hat. Niemanden, hörst du, nie ... man ... den will ich sehen. Sollen sie doch alle zum Hades fahren. Ich hab’ ... hab’ meine Pflicht stets für Rom und diese ver... verfluchte Stadt hier getan. Was ist der Da... Dank? Abgesetzt haben sie mich. Davongejagt, wie einen unnützen Sklaven. Aber das soll... sollen sie büßen, undankbare Brut. Ich weiß viel, sehr viel, und wenn ich einmal ...«
Honoria hat den Rest nicht mehr gehört. Sie schlurft durch den dunklen Gang zur Tür, einen Türsklaven gibt es schon lange nicht mehr. Eine dunkle Gestalt steht vor der Tür.
»Ja?«
Durch das Dunkel versucht sie vergeblich das Gesicht des Mannes zu erkennen.
»Was ist? Zu wem ...?«
Weiter kommt sie nicht. Roh wird sie zur
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