Agrippina - Kaiserin von Rom
des Collis Hortulorum zu sehen. Dann öffnete sich das Tal, das auf der anderen Seite vom Quirinalis begrenzt wurde, und das eigentliche Stadtgebiet begann, unschwer an den wuchtigen Quadern der alten Stadtmauer zu erkennen. Zu Beginn der elften Stunde durchquerte die Kutsche die Porta Flaminia und hatte ihr Ziel erreicht.
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Unterhalb der auf dem Capitol liegenden Burg macht die Via Flaminia, die inzwischen wegen ihrer zunehmenden Breite Via Lata heißt, einen leichten Knick nach links, steigt leicht an und führt geradewegs zum Mittelpunkt der Stadt, dem Forum Romanum. Die zahllosen hier ansässigen Silberschmiede haben der Straße den Namen Clivus Argentarius verliehen. Biegt man hier unmittelbar hinter der Curia , dem Versammlungsort des römischen Senats, scharf links ab, so befindet man sich auf einer breiten Hauptstraße, dem so genannten Argiletum, der Hauptstraße von Roms berüchtigtem und gefährlichstem Viertel, der Subura. Hier pulsiert das Leben wie nirgendwo sonst in der Stadt, die Straßen sind von kultureller Vielfalt, ständigem Verkehr, aber nicht weniger hoher Kriminalität geprägt. Einstürzende Häuser, Brände, Lärm, alles hat dieses Viertel im Übermaß, und doch möchte kaum einer, der hier wohnt, wegziehen.
Lauschen wir einen Augenblick dem Dichter Juvenal, wie er die dortigen Verhältnisse beschreibt:
»Habe ich es eilig, dann hält mich der Passantenstrom vor mir auf, und es drängen mich die, die in langer Kolonne hinter mir kommen. Der eine stößt mich mit dem Ellenbogen, ein anderer versetzt mir einen Schlag mit einer harten Stange; der rammt mir einen Balken gegen den Kopf, der ein großes Tongefäß. Meine Beine sind mit Schlamm bespritzt, dauernd werde ich von riesigen Plattfüßen getreten, und in meinem großen Zeh steckt ein verlorener Nagel eines Soldatenstiefels.
Siehst du, mit wie viel Küchendampf man hier zu einem großen Picknick zieht? Hundert Gäste kommen, jeder von seiner tragbaren Küche verfolgt. Selbst ein Riesenkerl könnte nur mit Mühe so viele ungeheuren Töpfe, so viele andere Sachen auf dem Kopf tragen, wie jener schmächtige Sklave dort kerzengerade aufgerichtet transportiert – und im Laufen noch hält er durch Fächeln das Feuer in Gang. Kleider, gerade erst geflickt, sind schon wieder zerrissen. Ein langer Tannenstamm, der auf einem Karren daherkommt, wippt auf und nieder, andere Wagen transportieren eine ganze Pinie, die hoch und drohend über den Leuten schwankt. Wenn aber bei dem Karren, der Steinblöcke aus Ligurien befördert, die Achse bricht und der ganze Berg auf die armen Passanten stürzt, dann bleibtvon denen nichts mehr übrig. Wer findet dann noch die Glieder, die Knochen? Nicht nur die Leute selbst kommen um, sondern, völlig zerquetscht, vielleicht auch ihre Leichen. Zu Hause, wo man nichts davon ahnt, werden inzwischen schon die Schüsseln fürs Essen gespült, das Herdfeuer wird angeblasen. Das Klirren der eingefetteten Schabeisen, die ins Bad getragen werden, ist zu hören, Handtücher werden neben die Ölflasche gelegt, die Sklaven hetzen hin und her, aber er, ihr Herr nämlich, sitzt schon am Ufer des Styx, und ihm, dem Neuankömmling, graut es vor dem schauerlichen Fährmann, und er hat keine Hoffnung, in Charons Schifflein über die trübe Flut gesetzt zu werden, hat er doch keine Münze im Mund, die er präsentieren könnte ...«
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Unter denen, die sich in nicht endender Flut über das Argiletum ergossen, befand sich auch Marcus Valerius Aviola, freilich in der Verkleidung des provinziellen Stoffhändlers, den schweren Reisesack auf den Schultern. Er hatte beschlossen, hier in der Subura Quartier für seine Zeit in Rom zu nehmen, denn eine bessere Tarnung war kaum vorstellbar. Jetzt, zur elften Stunde, wurde die Straße nicht nur durch Fußgänger verstopft, sondern Kutschen, Karren und Sänften ergänzten das Verkehrsinferno eindrucksvoll.
Sobald es ging, verließ Valerius die Hauptstraße und bog in eine kleine Seitengasse ab. Der Tribun kannte sich hier gut genug aus, um zu wissen, dass die Quartiere hier zwar etwas teurer, dafür aber auch sauberer waren. Ein leichter Nieselregen hatte eingesetzt, leicht zwar, aber stark genug, um die Menschen in ihren Wollmänteln bald zu durchnässen. Valerius schüttelte sich und eilte mit weiten Schritten durch die Gasse, deren nasses Pflaster im Schein der untergehenden Sonne einen zwielichtigen Glanz entwickelte.
Unweit des kleinen Tempels der Juno Lucina , in dem das
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