Agrippina - Kaiserin von Rom
Leine?«
Seneca schmunzelte. »Aus dem Füllen ist ein stolzer Hengst geworden, wenn ich so sagen darf. Ein Hengst, der manchmal immer noch etwas über die Stränge schlägt.«
»Und den Stuten allzu sehr nachstellt, vor allem, wenn sie schön und blond sind, nicht wahr?«
Seneca, der gerade an seinem Weinbecher nippen wollte, verschluckte sich und prustete los.
»Äh ... was? Ich meine ..., lass ihn das nicht hören. Das mit der blonden Stute! Da wird er keinen Spaß verstehen. In der Tat missfällt mir die Beziehung zu Poppaea, die meinst du ja wohl, schon. Ich würde es begrüßen, wenn er Octavia nicht so vernachlässigen und all die anderen schamlosen Weiber aus dem Palast werfen würde. Sie gehört doch auch nur zum Kreis jener Männer und Frauen, denen die Frisur wichtiger ist als ihre Ehre!«
»Wie meinst du das denn?«
Senecas Miene wurde streng und sein Tonfall eine Nuance härter.
»Kennst du sie nicht, jene unnützen Geschöpfe? Der Tonsor rupft ihnen aus, was in der vergangenen Nacht nachgewachsen ist. Jedes einzelne Haar erfordert Beratung, ob es nun von hier nach dort oder umgekehrt zu kämmen ist. Sie regen sich auf, wenn der Friseur zu nachlässig war oder eine Locke zur falschen Seite fällt. Solche Menschen nehmen es eher in Kauf, dass der Staat in Unordnung gerät als ihre Frisur. Die Anordnung der Haare bedeutet ihnen mehr als ihre Gesundheit, ja mehr als ihre Ehre. Und zu diesem Kreis ebenso verwöhnter wie unnützer Aristokraten gehört auch Poppaea!« Der Philosoph hatte sich in Rage geredet, wie sein gerötetes Gesicht belegte.
Ein Weile schwiegen beide. Dann sagte Valerius leise: »Ein offenes Wort, edler Seneca, fürwahr!«
»Ja, offen und gefährlich. Aber die Wände haben hier keine Ohren. Hier nicht! In anderen Häusern sollte man vorsichtiger sprechen, und das gilt auch für dich!«
Valerius ging auf die Warnung nicht weiter ein. Er beschloss, die offensichtliche Gemütsaufwallung des Philosophen auszunutzen und vorsichtig weiterzubohren. Vielleicht konnte man ihm doch noch etwas entlocken ...
»So siehst du in Poppaea die nächste Augusta ?«
Seneca wiegte seinen Kopf hin und her. Er ließ sich lange Zeit mit seiner Antwort. Dann antwortete er schlicht: »Ja! Schon möglich!«
»Und was wird Agrippina dazu sagen? Wird sie es hinnehmen, oder wird sie dem neuen Glück im Wege stehen und dadurch in Gefahr geraten?«
Misstrauisch blickte Seneca den Tribun an. »Gefahr? Was meinst du mit Gefahr?«
»Edler Seneca, erlaube mir offen zu sprechen. Es gibt Leute in Rom, die der Ansicht sind, dass Agrippina sich in tödlicher Gefahr befindet. Auch soll es unter ihren ... äh ... Anhängern schon einige Todesfälle gegeben haben!«
»Todesfälle? Davon weiß ich nichts. Oder meinst du jenen närrischen Gallienus, den man aus dem Tiber gefischt hat? An seiner eigenen Trunksucht ist er vermutlich zugrunde gegangen.«
»Wie auch immer. Sag mir, edler Seneca, wie wird sich das Verhältnis Neros zu seiner Mutter nach deiner Meinung weiterentwickeln? Ich meine, äh ....«
»Ich hab’ dich schon verstanden. Eine offene Frage verlangt eine offene Antwort. Agrippina stünde es gut an, den Cäsar nicht weiter wie ein unmündiges Kind zu gängeln, und auch aus der Politik sollte sie sich endlich heraushalten.«
»Was tut sie, was den Zorn Cäsars erregt?«, wollte Valerius wissen.
»Manchmal, wenn ausländische Gesandtschaften zum Hofe kommen, dann sitzt sie wie selbstverständlich neben ihm auf dem Thron. Sollen die Barbaren denn glauben, dass Rom von einem Weiberrock regiert wird? Aber das ist noch nicht alles, selbst den Senat spart sie nicht aus!« Senecas Stimme war voller Empörung.
»Tritt sie etwa im Gremium der versammelten Väter auf ?«, fragte Valerius verwundert nach, da er sich ein solches Sacrilegium nicht vorstellen konnte.
»Nein, das traut nicht einmal sie sich. Aber sie rät ihrem Sohn, den Senat im kaiserlichen Palast tagen zu lassen, damit er nicht einen solch weiten Weg zu den Sitzungen hat.«
»Aber das ist doch recht nett von ihr, oder?«
»Nett?«, schrie Seneca, »du nennst das eine Nettigkeit? Sie tut das, damit sie hinter dem Vorhang sitzen kann und jedes Wort hört, was im Senat gesprochen wird.«
Valerius musste ein Schmunzeln unterdrücken. Die Vorstellung der heimlich hinter dem Vorhang sitzenden Agrippina erregte unwillkürlichseine Heiterkeit. Er wusste aber auch, dass Seneca das durchaus nicht komisch finden würde, denn der setzte seine Klagen
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