Agrippina - Kaiserin von Rom
durch die nachtklare Luft, während das Blut schon in kleinen Strömen aus dem Körper heraustritt und den Schnee färbt. Dann sinkt er röchelnd nieder. Kein Laut kommt mehr über die Lippen, die für alle Zeit versiegelt sein sollen.
Befriedigt bückt sich der Mann. Er ist stark, bärenstark. Hat lange genug in der Arena von Lugdunum gekämpft, siebzehn Siege errungen, bis ihm eine schwere Beinverletzung ein abruptes Karriereende beschert hat. Jetzt lebt er von kleinen diskreten Aufträgen wie diesen. Es macht ihm nichts aus, den leblosen Körper durch den matschigen Schnee zu ziehen, an der Lagerhalle vorbei in Richtung Rhenus . Eine blutige Spur folgt dem ungleichen Paar, eine Spur, die abrupt am Flussufer endet.
Dann ein klatschendes Geräusch. Leblos treibt der Körper im kalten Wasser des Flusses. Er treibt zwischen den riesigen Eisschollen, die sich langsam auflösen. Aber Gulvenius lebt noch!
Er spürt, wie das eiskalte Wasser in jede Pore seines Körpers eindringt, wie es ihn langsam umhüllt. Er will nicht sterben! Noch nicht! Er hat doch noch so viel vor. Silana! Silana! Er will schreien, doch die Zunge versagt ihm ihren Dienst. Seine Hände greifen verzweifelt in die Luft, während er langsam in den dunklen Fluten versinkt. Wenn es die Götter wollen, wird der Körper sein Ziel nach langer Reise erreichen: Noviomagus liegt auch am Rhenus !
Als der Nachtwächter auf seiner Runde wenig später an der Stelle vorbeikommt, an der Gulvenius seinen letzten Seufzer getan hat, wundert er sich. Spuren eines Kampfes färben den Schneematsch rot, Schleifspuren zum Ufer, ein leerer Geldbeutel und eine leere Schriftrolle. Er packt beides in den Beutel, den er am Gürtel trägt und in dem sich sonst das Brot für die Nacht befindet. Vielleicht ein Wolf, der Beute geschlagen hat? Pfeifend setzt er seinen Weg fort.
***
Valerius wachte mit einem üblen Geschmack im Mund auf. Um ihn herum herrschte absolute Dunkelheit. Wo bin ich? Schmerzhaft fuhr ihm diese Frage durch den Kopf. Schmerzhaft auch, weil in seinem Kopf ein Trommeln und Dröhnen herrschte, als befinde sich eine Legion auf dem Triumphzug durch seine Gehirnwindungen!
Silana! Das Teufelsweib kam ihm in den Sinn.
Sie hatten sich geliebt, in heißem Begehren, bis zu jenem Zeitpunkt, an dem sein Erinnerungsvermögen aussetzte. Nun lag er hier ... Lag? Tatsächlich, er lag auf dem Boden, und langsam kroch die nasskalte Feuchtigkeit an ihm hoch. Und noch etwas stellte er mit Erschrecken fest: Seine Hände und Beine waren gefesselt. Dicke Stricke waren so fest um seine Gelenke gebunden, dass sie schon die Durchblutung behinderten und ein erstes warnendes Kribbeln in Händen und Beinen erzeugten.
Das also war ihr Plan! Oh, ihr Götter, welch ein Narr war ich! Zum zweiten Mal hat man mich in diesem Hause zum albernen Narren gemacht. Erst Gulvenius mit seiner rührenden Abschiedsszene. Dann sein liederliches Weib mit der Liebesszene. Und jedes Mal ist er hereingefallen wie ein Schuljunge. Wäre es nicht so dunkel gewesen, man hätte sehen können, wie die Schamröte in sein Gesicht stieg, nicht anders als die Sonne, wenn sie am frühen Morgen ihren Tageslauf antritt.
Dieser Geschmack im Mund! Als hätte er Metall gegessen. Und gewaltiger Durst plagte ihn. Der Wein! Irgendetwas musste in dem Wein gewesen sein, den man ihm verabreicht hatte.
»Nimm den guten Wein, den aus der roten Flasche!«
Der Satz fiel ihm wieder ein. Und die Sklavin hat gehorcht. Also war Thissa mit im Bunde. Alle in diesem Hause steckten unter einer Decke. Man müsste die ganze Brut mit Feuer und Schwert ausrotten! Zorn kam in ihm hoch. Hass! Auf sich selbst – und auf jene, denen er das hier verdankte. Aber würde er noch dazu kommen, sie ihrer gerechten Strafe zuzuführen? In Anbetracht der augenblicklichen Situation musste das mehr als zweifelhaft erscheinen. Valerius machte sich nichts vor. Er saß in der Falle!
Vorsichtig versuchte er, an seinen Handfesseln zu zerren. Vergeblich! Sie saßen fest, und der Strick war von bester Qualität. Nicht anders bei den Beinen. Was nun? Was hatte man mit ihmvor? Diente das alles nur der gemeinsamen Flucht von Gulvenius und Silana? Waren sie schon auf dem Weg nach Noviomagus und lachten sich schlapp über den liebestollen Tribun? Er versuchte herauszufinden, wo er war. Keine Chance! Der Raum war völlig verdunkelt, und kein Laut drang von außen hier hinein. So ähnlich mochte es im Tartarus aussehen, dem finsteren Ort der Unterwelt. Aber da gab
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