Agrippina - Kaiserin von Rom
einem höhnischen Grinsen und ... plötzlich, ganz langsam, veränderten sich seine Züge. Wo eben noch Wut und blanker Hass das Gesicht zu einer unmenschlichen Fratze verzerrt hatten, da war jetzt ungläubiges Staunen. Polternd ließ er das Schwert aus der Hand fallen, aus seinem Mund ergoss sich ein Blutschwall, dann brach er zusammen. Tief in seinem Rücken steckte die todbringende Mistgabel, dahinter, zitternd und mit aufgerissenen Augen – Thissa!
»Ich habe getötet!«, flüsterte sie, und ein Sturzbach von Tränen ergoss sich über die Hände, die sie vor das Gesicht geschlagen hatte.
»Mein Herr und mein Gott, verzeih mir!«
»Sicher wird dir dein Gott verzeihen, Thissa, denn du hast mir das Leben gerettet. Und wer tötet, um das Leben eines anderen Menschen zu retten, der begeht auch in den Augen deines Gottes kein Verbrechen, nicht wahr?«
»Was weißt du von meinem Gott, was von Sünde?«, rief Thissa, und immer noch flossen die Tränen herunter.
»Vielleicht mehr, als du ahnst«, sagte Valerius. Für einen Augenblick wollte er ihr von der Zusammenkunft in Rom erzählen, mit Petrus, dem Führer der dortigen Gemeinde, der jenen noch gekannt hat, den die Sklavin so verehrte. Aber das hätte jetzt keinen Sinn gehabt, zu aufgewühlt war die junge Frau. Und es war jetzt auch nicht der Zeitpunkt dafür.
»Ich werde dich jetzt mitnehmen, denn hier bleiben kannst du nicht mehr.«
»Und was ... was ist mit ... Ursus?« Sie deutete auf den toten Riesen, der immer noch mit der Mistgabel im Rücken in seltsam verdrehter Haltung auf dem Boden lag.
»Für den kann man nichts mehr tun. Die Leute hier werden sich darum kümmern!«
XV.
Keltenfest
Dumpf schallen die Trommeln durch den nachtdunklen Wald, begleitet vom Gesang der Druiden und dem mehrstimmigen Flöten der Lurenbläser. Mindestens zweitausend Menschen sind es, die sich in jener riesigen Lichtung versammelt haben, die die Römer Vallis tiliarum – Lindenthal nennen. Aber es sind nicht Römer, die hier in festlicher Stimmung zusammengekommen sind. Dies ist ein Fest der Einheimischen, der Kelten, die sich längst zu einem bunten Gemisch von Galliern und Germanen vermengt haben. Die Stammeszugehörigkeiten haben jedenfalls in diesem Teil des Keltenlandes längst an Bedeutung verloren. Welche Rolle spielt es noch, ob man Ubier ist oder Tencterer, Usipeter oder Treverer, Atrebat oder Arverner? Sie alle haben unter den Römern ihre Freiheit verloren und gehören zum Imperium Romanum .
Freilich haben ihnen die Römer ihre Stammeseigenheiten und Traditionen gelassen, ihre Druiden und Götter. Die fremdländischen Eroberer haben ihnen sogar Tempel gebaut, aber die Kelten nutzen sie nicht. Sie beten nach wie vor zu ihren alten Göttern – und die brauchen keine Tempel, denn Götter sperrt man nicht ein –, und sie tun es mit nicht weniger Inbrunst, als sie es vorher taten, bevor der römische Adler sie alle unter seinem Schatten begraben hat. Teutates, der Gott der Krieger, der große Seelenführer, der die in Ehre Gestorbenen zu ihrem letzten Wohnsitz geleitet, Epona, die mächtige Pferdegöttin, Esus, der Gott mit der Axt, und Taranis, der donnernde Himmelsgott, oder Lug, der Heerführer der Götter, der unheimliche Meister der Magie, und Rosmerta, die gallische Muttergöttin, die mit ihrem Füllhorn Reichtum und Fruchtbarkeit spendet – sie alle sind den einheimischen Kelten trotz fast hundertjähriger Fremdherrschaft immer noch lebendiger als die olympischen Götter der Usurpatoren.
Jupiter, Juno, Minerva und Mars, Pluto oder Merkur – die römischen Götter sind ihnen fremd geblieben. In ihrer Großzügigkeithaben die Römer den Besiegten auch ihre Feste gelassen: das Imbolc-Fest zur Ehre der großen Erdmutter Rosmerta, das Beltene-Fest, mit dem man den Eintritt des Sommers feiert, oder Lugnasad, das große Fest zu Ehren des höchsten Gottes Lug. Selbst die Römer haben diesem Gott ihren Respekt bezeugt und Städte wie Lugdunum nach ihm benannt. Aber bis Lugnasad ist noch viel Zeit, das wird man erst im August feiern.
Heute feiert man das Fest der Tag- und Nachtgleiche, das Fest der Sonnenwende. Die Fürsten und Sippenältesten aller benachbarten Stämme sind zusammengekommen. In feierlichem Zuge haben sie den mit den heiligen weißen Pferden bespannten Wagen durch die Dörfer zur Lichtung geleitet. Auf dem Wagen befindet sich eine große goldene Scheibe, Sinnbild der Sonne, die man so lange vermisst hat. Daneben die Gefäße mit dem Wasser, das
Weitere Kostenlose Bücher