Agrippina - Kaiserin von Rom
erheblich überschritten hatte, aber das war ihm in diesem Augenblick völlig egal. Mochte man ihn doch zur Rechenschaft ziehen!
Sie machten sich gerade auf den Rückweg, als zwei weitere Vigiles atemlos auf sie zustürmten.
»Meldung, Tribun!«
»Sprich, Mann!«
»Am Tempel des Jupiter Dolichenus hängt ein Mann!«
»Hängt ein Mann? Bei allen Göttern, was sagst du da?«
»Ja, Tribun. Man hat ihn gerade gefunden. Er ist noch warm.«
»Wer bei Jupiter ist es? So sprich doch, Mann!«
»Es ist der Wirt der Taberne, aus der ihr gerade kommt. Es ist Aulus! Er hängt da an der Eiche vor dem Tempel! Aber vorher hat man ihm den Schädel eingeschlagen!«
»Da war jemand schneller als ich«, murmelte Valerius enttäuscht.
XXI.
Maternus – Bischof von Colonia
Mitte März 59 n.Chr.
» Ist es noch nicht genug?«, seufzte Nero und betastete unwillig die Bleiplatten, die schwer auf seinem Brustkorb lasteten.
Terpnus, sein Musiklehrer, eilte geflissentlich herbei.
»Nur noch wenige Minuten, mein Cäsar , dann will ich sie dir abnehmen. Aber du weißt ...«
»Ich weiß«, unterbrach Nero ihn ungnädig, »und wenn ich nicht sicher wäre, dass du es gut mit mir und meiner Stimme meinen würdest, hättest du längst deinen Auftritt im Circus gehabt.«
Terpnus wurde für einen Augenblick bleich. Einen schwierigen Schüler hatte er da. Schwierig und launisch. Wer sich heute noch seiner Gunst erfreute, konnte morgen schon zur Beute der wilden Bestien im Circus werden.
»Du weißt, wie wichtig die Musik für mich ist, nicht wahr?«
»Ich weiß es, edler Caesar, wir ...«
Aber Nero hörte gar nicht zu. Finstere Gedanken schlichen durch sein Hirn. Der Sohn des berühmten Thrasyllos, der schon zu den auserwählten Ratgebern des göttlichen Tiberius gehört hatte, hatte ihm prophezeit, dass er seinen Thron verlieren würde. Und wenn das wirklich so kommen sollte, wollte er eben seinen Lebensunterhalt als gefeierter Künstler verdienen. Als Sänger, als Dichter, als Kitharöde, als Wagenlenker. Bei den Göttern, er hatte so viele Talente, dass er sich nicht entscheiden konnte. Freilich galt es zuerst, diesen Sturz überhaupt abzuwenden. Auch als Kaiser und mächtigster Mann des Reiches konnte man diese Talente pflegen – und gleichzeitig regieren.
So ging es bisher, und es gefiel ihm.
Aber Agrippina stand im Wege! Keine Gelegenheit ließ sie aus, Terpnus und seine hohen Künste lächerlich zu machen. Aber lange würde er das nicht mehr mitmachen ...
»Und wenn wir damit fertig sind, werden wir uns der Wasserorgel zuwenden. Zwar spielst du schon wie ein rechter Meister, göttlicher Cäsar , aber es bedarf doch der ständigen ...«
»Genug! Genug für heute! Nimm mir die Platten ab und verzieh dich!«
Diesen Ton kannte Terpnus zur Genüge. Er duldete keinen Widerspruch, und Terpnus zog es vor, eilends den Raum zu verlassen.
Nero musterte die Gardisten vor seiner Tür. Hübsche Germanen. Gut gebaut und männliche Gesichter. »Ruft mir den Anicetes! Und den Tigellinus. Aber schnell!«
Einer der Gardisten rief einen Sklaven. Der rannte davon, und einige Minuten später standen die Gewünschten im Raum. Anicetus versuchte gerade noch, die Reste seiner Mahlzeit von der Toga zu tilgen, was ihm einen ungnädigen Blick des Herrschers eintrug.
»Nun, meine Herren Ratgeber! Wie weit sind eure Pläne gediehen?«
Anicetus blickte Tigellinus an, der schaute auf Anicetus. Anicetus war mitten vom Mahl abberufen worden, Tigellinus vom feurigen Liebesspiel. Sie zögerten einen Augenblick mit der Antwort. Zu lang! Ungeduldig herrschte Nero sie an: »Ihr schweigt? Hab’ ich euch dafür zu den mächtigsten Männern des Reiches gemacht, dass ihr schweigt? Eure Geldtruhen quellen über von Gold und Silber, und ihr schweigt. Euer Cäsar schwebt in höchster Not, und ihr schweigt?«
Zornig warf er einen Apfel nach Anicetus und traf ihn am Ohr. Der nahm das schweigend hin, aber Nero wollte sich ausschütten vor Lachen. Tigellinus wagte einen schüchternen Vorstoß.
»Es ist nicht so einfach, großer Cäsar . Immerhin geht es ... geht es ... um deine Mutter. Da ist der Kreis der Mitwisser so klein wie möglich zu halten, oder?«
»Klein, ja?« Neros Gesicht war plötzlich wutentstellt.
»Und was ist das? Meine Agenten haben es gestern abgefangen.«
Er nestelte an seiner bunten Tunica und brachte eine kleine Schreibtafel hervor. Anicetus und Tigellinus warfen einen kurzen Blick darauf und erschraken.
Für Agrippina
In den nächsten
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