Agrippina - Kaiserin von Rom
verkauft. Das ist schon so ewig lange her.«
»Ewig lange? Du zählst höchstens achtzehn Jahre.«
»Zwanzig«, entgegnete Dirana mit leichtem Trotz, und ihre Augen funkelten dabei wie geschliffene Diamanten.
»Wer ist dein Herr?«
»Ich gehöre dem Publius Statilius Taurus!«
»Dem Aedil ?«
»Du kennst ihn?«
»Noch nicht, aber ich werde ihn sicher bald kennen lernen. Und was machst du, wenn du nicht hier in dieser zugigen Gasse den Leuten untaugliche Amulette aufschwätzt?«
»Sie sind nicht untauglich, Herr! Der Glaube ist es, der sie tauglich macht. Wenn ich nicht hier stehe, verrichte ich meine Arbeit im Hause des Aedils .«
»Und welche ist das?«
»Ei, der edle Herr ist ziemlich neugierig«, lachte Dirana. »Nun, ich mache alles, was im Haus gemacht werden muss. Ich helfe der Herrin beim Ankleiden, ich stecke ihre Haare hoch, ich beaufsichtige die Kinder, und manchmal, manchmal, tanze ich vor den Gästen.«
»Du tanzt vor den Gästen?«
»Natürlich! Warum auch nicht? Ich tanze gerne, und den Gästen gefällt es.«
Vielleicht hätte ich die Einladung des jungen Statilius doch annehmen sollen, dachte Valerius, den die Vorstellung einer tanzenden, kaum verschleierten Dirana entzückte.
»Leb wohl, Mädchen! Wenn die Götter es wollen, werden wir uns wieder sehen.«
»Vielleicht reicht es schon, wenn du es willst«, lächelte Dirana und blickte dem gut aussehenden Offizier schmunzelnd nach.
Nach wenigen Schritten hatte Valerius den Amtssitz des Prätors erreicht, ein lang gestrecktes, zweistöckiges Gebäude, das sich an seiner Längsseite an die Stadtmauer anzulehnen schien. Über dem Eingang thronte der römische Adler, unter ihm die vier Buchstaben, die die römische Macht im gesamten Imperium verkörperten: SPQR – Senatus Populusque Romanus, Senat und Volk von Rom.
Hatte auch die Beifügung »Senat« angesichts der Kaiserherrschaft merklich an Wert verloren, so war es doch immer noch dieser Begriff, der für den Machtanspruch der Römer in aller Welt stand. Zwei Veteranen standen Wache vor dem Haupteingang und grüßten mit angelegtem Arm, als sie den Tribun sahen.
» Salvete ! Zum Prätor !«, sagte Valerius militärisch knapp.
» Salve , Tribun! Durch den Gang, zweite Tür zur linken Seite!«
Valerius durchschritt einen düsteren Gang, der durch zwei schmale Fenster nur unzureichend erhellt war, und trat dann in das Vorzimmer des höchsten Beamten dieser Stadt. Ein alter gallischer Schreiber saß gebückt an einem Tisch und schrieb umständlich und mit zittriger Hand auf eine Schriftrolle. Als er den Tribun sah, blickte er nur müde auf und fragte: »Was wünschst du?«
»Der Prätorianertribun Marcus Valerius Aviola aus Rom wünscht den Prätor der Stadt zu sprechen!«
»Einen Augenblick, Tribun!«
Die Stimme klang schon etwas freundlicher. Mühsam erhob sich der Alte und schlurfte schweren Schrittes in das Nebenzimmer. Nur Sekunden später rief eine dröhnende Stimme: » Intra! – Herein!«
VIII.
Der Prätor von Colonia
Hinter einem mit Schriftrollen beladenen Holzschreibtisch saß ein wuchtiger Mann in einer hellblauen Tunika. Ein viel zu kleiner, gänzlich kahler Kopf ruhte auf kräftigen Schultern. Überhaupt ließ sein Körper jede vernünftige Dimension vermissen: die Arme zu lang, die Beine, angesichts des mächtigen Oberkörpers, spindeldürr. Tausend Falten schienen das wettergegerbte Gesicht zu durchziehen, das sich jetzt zu einer freundlichen Grimasse verzog. Gaius Volturcius Crassus, der Prätor von Colonia und Vertrauter der Kaiserin, stand auf und schlug Valerius seine mächtige Pranke auf die Schulter.
»Marcus Valerius Aviola, sei willkommen in der Stadt unserer verehrten Augusta . Du kannst gehen, Viridorix. Und schließ die Tür, neugierige alte Krähe!«
Mit unwilligem Gemurmel verließ der alte Schreiber den Raum und schloss die schwere Eichentür hinter sich.
»Setz dich, Tribun! Einen Imbiss, einen Becher Wein?«
»Ich würde nicht ablehnen ...«, antwortete Valerius. Der Prätor griff zu einer silbernen Glocke, die auf seinem Tisch stand, und klingelte. Wenig später öffnete sich die Tür und ein Sklave trat herein.
»Einen kleinen Imbiss für uns, mein guter Virobald, aber hurtig!«
»Ja, Herr!« Der Sklave verschwand und brachte wenig später auf einem mahagonifarbenen Tablett Brot, kalten Braten, Obst und Eier. Stumm servierte er und warf dabei einen neugierigen Blick auf den Gast. Aus einer Tonkaraffe goss er beiden Männern dunkelroten Wein
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