Agrippina - Kaiserin von Rom
sagen, doch im nächsten Augenblick legten sich schwielige Finger über seinen Mund und mahnten ihn nachdrücklich zu schweigen. Behutsam drückte sie ihm etwas Kaltes, Hartes in die Hand. Eine scharfe Kante! Ein Dolch!
»Du fliehen! Morgen, wenn Sonne aufsteht, Pferd hinter Hütte. Füße verbindet. Mit Messer Loch machen. Ganz leise. Wache nur vorne! Komm, ich zeigen.«
Mit einem verhaltenen Kichern zog sie an seinem Arm. Valerius erhob sich taumelnd. Vorsichtig führte ihn die Frau an die Hinterwand der Hütte, die nur aus brüchigem feuchtem Lehm bestand. Valerius verstand, was sie meinte. Es konnte nicht schwer sein, mit dem Messer hier einen Durchgang zu schaffen. Er musste sich nur unverzüglich an die Arbeit machen.
»Und Manlius?«, hauchte Valerius.
»Manlius bleiben! Er nicht Sohn von Cataulca!« Ehe sich Valerius versah, drückte ihm die Alte einen nassen Kuss auf die Stirn und verschwand so leise, wie sie gekommen war. Offenbar hatte sie einen Augenblick mangelnder Wachsamkeit für ihren Besuch ausgenutzt.
Valerius begann sofort mit seiner Arbeit. Eigentlich war es für eine Flucht noch zu früh, denn er fühlte sich sehr geschwächt. Andererseits konnte man nicht länger warten, denn schon morgen wollte Catuvolcus mit seiner »Befragung« beginnen, und wie die aussah, konnte der Römer sich nach der letzten Unterhaltung ausmalen. Der Lehm war mit Holzstücken und Reisig bewehrt, leistete aber seinem Messer kaum Widerstand. Immer wieder musste Valerius abbrechen, weil ihn die Arbeit zu sehr anstrengte. Und immer wieder lauschte er auf die Schritte des Wachpostens vor seiner Hütte.
Es musste schon kurz vor Sonnenaufgang sein, denn der Spalt, den er durch den Lehm gebahnt hatte, verhieß erstes Morgengrauen.Plötzlich waren Schritte vor seiner Tür zu hören, kräftiger und härter als die gewohnten. So schnell es ging, hängte Valerius ein Tuch über die Stelle, an der er gearbeitet hatte, versteckte den Dolch im Urinkübel vor seiner Strohmatte und warf sich mit letzter Kraft auf sein Lager. Sekunden später stand ein Germane vor ihm und leuchtete mit einer Fackel in sein Gesicht.
» Man tiu wag nole!«
Valerius stellte sich schlafend und antwortete nichts. Er hatte auch keine Ahnung, was der Mann von ihm wollte. Offensichtlich eine verschärfte Kontrolle. Der Germane leuchtete in der Hütte herum, fand aber nichts, was ihn beunruhigte, und ging hinaus. Valerius lauschte den sich entfernenden Schritten und wartete einen Augenblick.
Kurz darauf war es geschafft. Mit dem Fuß trat er gegen das Lehmstück, das er mit dem Messer gelockert hatte. Fast geräuschlos fiel es aus der Wand. Kühle Morgenluft zog sofort in die Hütte. Es regnete. Vorsichtig robbte Valerius durch das Loch und blickte sich um. Hinter der Hütte begann sofort der Wald. Er hatte keine Ahnung, wo er das Pferd suchen sollte, und stolperte einfach nur weiter über den samtweichen Waldboden, der seine Schritte verschluckte. Aber schon wiesen ihm abgeknickte Zweige den Weg. Cataulca hatte nichts dem Zufall überlassen. Kaum mehr als fünfhundert Schritte entfernt fand er einen kräftigen Rappen mit verbundenem Maul. Auch die Hufe waren mit Lappen umwickelt, damit niemand das Pferd hören konnte. Valerius band das Tier los und zog es mit sich. Vom Boden hob er einen Knüppel auf, man konnte nie wissen ... Die Sonne lenkte ihre ersten Strahlen durch den regenfeuchten Wald und wies ihm den Weg nach Westen: Immer entgegen der aufgehenden Sonne, da musste irgendwo der Rhenus liegen. Hatte er erst die Ufer erreicht, würde er schon eine Möglichkeit finden, überzusetzen.
Er hatte sich weit genug vom Dorf entfernt, um das Pferd besteigen zu können. Patrouillen der Germanen waren zur Nachtzeit wohl kaum zu befürchten. In strammem Galopp preschte er voran. Willig gab das Pferd seinem Drängen nach. Dann brachte er das Pferd für einen Augenblick nochmals zum Stehen und lauschtenach hinten. Es regnete nicht mehr. Nichts schien auf eine Verfolgung zu schließen. Vermutlich hatte man seine Flucht schon entdeckt, denn bei den ersten Strahlen der Sonne war er stets geweckt worden und hatte sein spärliches Frühstück erhalten. Valerius ritt weiter. Der Wald brach mit einem Mal plötzlich ab und machte einer großen Lichtung Platz, die ganz vom Nebel des frühen Morgens eingehüllt war.
Zwei Reiter standen mitten auf der Lichtung und starrten den Flüchtling überrascht an. Junge Germanen, kaum siebzehn Jahre, die von nächtlicher Jagd
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