Agrippina - Kaiserin von Rom
zurückkamen. Aber sie schienen nicht aus dem Dorf zu kommen, aus dem der Römer geflohen war, denn sie näherten sich dem Fremden arglos, vielleicht waren sie auch gar keine Sugambrer.
» Wal tiu here?«, sprachen sie Valerius an. Er winkte sie zu sich heran und deutete auf das Bein seines Pferdes. Neugierig beugte sich der eine von ihnen herunter und erhielt mit dem Holzknüppel einen wuchtigen Schlag auf den Kopf. Blutüberströmt sackte er zusammen und fiel vor die Hufe seines aufgeschreckten Gauls. Während der andere Germane nach der Axt griff, die in seinem Gürtel steckte, fuhr ihm schon der Dolch des Römers in die Brust. Mit einem ungläubigen Blick sank er vom Pferd. Beide hatten ihre jugendliche Unerfahrenheit teuer bezahlt.
Ungerührt durchsuchte Valerius die Germanen. Er nahm die Axt des toten Barbaren an sich und bediente sich am Mundvorrat des anderen. Gedörrtes Trockenfleisch. Für einen hungrigen Flüchtling eine Delikatesse. Auch für die Felljacke des Germanen hatte er Verwendung, denn in seinem dünnen Wollkittel fror er erbärmlich. Die Pferde führte er in das dichte Unterholz und band sie an. Die Leichen der beiden Germanen bedeckte er in aller Eile mit Reisig und Zweigen. Er hatte sie töten müssen. Ein Fremder, der ihre Sprache nicht spricht und noch dazu einen derart abgerissenen Eindruck macht, hätte zu sehr ihren Argwohn erregt ... Nicht auszudenken, wenn er wieder in die Hände des wahnsinnigen Catuvolcus gefallen wäre!
Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, bis er endlich die trägen Fluten des Rhenus erblickte.
In der Ferne, auf der anderen Seite des Flusses, schälten sich schon die Umrisse der Colonia Claudia Ara Agrippinensium aus dem trüben Morgennebel.
***
»Mach das Maul auf, alte Vettel. Du hast ihm zur Flucht verholfen!« Catuvolcus schüttelte die alte Frau und schlug ihr mit der Hand ins Gesicht. Ungerührt ließ die Alte die brutale Behandlung über sich ergehen und schwieg. Sigher versuchte einzuschreiten.
»So hat das keinen Zweck. Du wirst so nichts erreichen.« Er wandte sich an die Frau, die die Männer mit großen Augen anstarrte.
»Hast du ihm das Messer gegeben, mit dem er das Loch in die Wand geschnitten hat?«
Catualca nickte nur und lächelte glücklich.
»Warum hast du das getan?«
Die Frau zeigte auf ihr Herz.
»Sie denkt, er sei ihr Sohn«, sagte Sigher zu dem vor Wut rasenden Catuvolcus. Er deutete auf seine Stirn: »Sie ist verrückt hier oben. Sie meint, ihren Sohn gerettet zu haben, den sie vor vielen Monden verlor.«
»Und du hast ihr geholfen, verfluchter Römer!« Catuvolcus wandte sich zu Manlius und schlug ihm mit der Faust in das Gesicht. »Das sollst du büßen, römischer Hund!« Er riss seine Axt aus dem Gürtel und hieb sie in die Brust des römischen Sklaven. Mit einem Röcheln brach Manlius zusammen, Blut strömte aus einer tiefen klaffenden Brustwunde.
»Bringt ihn weg! Werft ihn den Hunden zum Fraß vor!« Die Stimme des Germanen überschlug sich, Speichel spritzte von seinen Lippen.
»Und nun zu dir, Alte!«
Vergeblich versuchte Sigher, dem Tobenden in den Arm zu fallen. Wie eine lästige Fliege schüttelte er den Anführer des Dorfes ab. »Du wirst mich nicht daran hindern, sie gebührend zu bestrafen!«, schrie er und hob erneut seine blutverschmierte Axt.
»Du bist Gast hier, Catuvolcus, vergiss das nicht!«
Aber der Eburone war längst nicht mehr Herr seiner Sinne. Zornentbrannt fuchtelte er mit seiner Axt herum, vor seinem verzerrten Mund hatte sich Schaum gebildet. Auf einen Wink Sighers hin stürzten sich mehrere junge Sugambrer auf den tobenden Mann und hielten ihn am Boden fest. Sie entwaffneten ihn und fesselten seine Arme mit Stricken.
»Du hast das Gastrecht verletzt. Du wirst hiermit aus unserer Gemeinschaft ausgestoßen und bist vogelfrei. Du hast das Recht der zwei Monde. Danach kann dich jeder aus unserem Dorf töten. Und nun geh! Gebt ihm seine Waffen wieder!«
Wenig später verließ Catuvolcus das Dorf der Sugambrer, ohne sich noch einmal umzusehen. Der Hass auf den Geflohenen schnürte ihm die Kehle zu. Ein unbändiges Verlangen nach Rache hatte sich seiner bemächtigt. Aber er wusste, wo der Römer zu finden war ...
XV.
Porcellus oenococtus
Mai des Jahres 54 n. Chr.
Obwohl der Sommer noch nicht begonnen hat, liegt Rom unter einer Dunstglocke unsäglicher Schwüle. Wer kann, ist auf sein Landgut hinausgefahren und genießt die kühlenden Winde der Albaner Berge oder die frischen Meeresbrisen Ostias.
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