Agrippina - Kaiserin von Rom
In die engen, schmutzigen Armenquartiere rings um die Subura hat verzehrendes Fieber Einzug gehalten, auch weil die Bewohner entgegen den behördlichen Anweisungen immer mehr dazu übergehen, ihr fäkaliengefülltes Nachtgeschirr aus den Fenstern zu entleeren. Ständige kleine Brände machen darüber hinaus aus dem Alltag oft genug ein lebensbedrohendes Abenteuer. Seit dem großen Brand vor fast fünfzig Jahren ist die Feuerwache auf siebentausend Freigelassene aufgestockt worden, die paramilitärisch in sieben Kohorten zu je tausend Mann organisiert ist .
Im kaiserlichen Palast weiß man wenig von diesen Gefahren. Alle Fenster sind geöffnet, damit wenigstens die spärlichen Luftzüge etwas Erfrischung bringen. Agrippina, die Augusta , liegt auf einer brokatbezogenen Liege in ihrem Zimmer, nur mit einem spärlichen Gewand aus kühlender koischer Seide bekleidet. Ihr gegenüber sitzen zwei Männer, einer davon in Uniform.
»Es ist noch zu früh, Burrus. Wir müssen warten!«
»Verzeih, edle Augusta , wenn ich anderer Meinung bin, aber es wird immer gefährlicher!« Der Prätorianerpräfekt tupft sich mit einem Tuch die Schweißperlen von der Stirn. Dann wendet er sich an den blassen, hochaufgeschossenen Mann, der zu seiner Linken sitzt. »Und was meinst du?«
Pallas, der Freigelassene und einer der Mächtigsten am Hofe, nimmt einen Apfel und beißt zaghaft hinein. »Ich denke, die edle Augusta hat Recht, wie immer. Warten wir noch ein wenig. Wie ich höre, ist der gute Narcissus ernstlich erkrankt. Es wird nicht mehrlange dauern, bis er die Hitze Roms mit der Kühle der Bäder von Sinuessa tauscht. Das wird unseren Plänen günstig sein.« Pallas lächelt und nippt an dem Wasser, das vor ihm steht. Er trinkt nie Wein, denn » Vinum mentem perdit – Wein vernebelt die Sinne«, wie er gerne zu sagen pflegt.
»Wie man hört, hat er die Verteidigungsschrift für Cicero fertig gestellt und nun eine mehrbändige Geschichte Roms in Angriff genommen. Welch ein Werk! Es wird Zeit brauchen und seine ganze Aufmerksamkeit gefangen nehmen. Wenn er dafür ebenso lang benötigt wie für seine zwanzig Bücher der Etruskischen Geschichte oder die acht über die Geschichte Karthagos, wird er unter seinen Schriftrollen begraben bleiben und das Regieren weiterhin uns überlassen.«
»Schon wahr, lieber Pallas«, erwidert die Augusta . »Aber der Alte wird immer närrischer. Es ist eine Qual, mit ihm zu dinieren. Neulich erst hat er wieder nach Messalina gefragt, obwohl das Luder nun schon seit Jahren tot ist. Tagsüber schläft er, und nachts geistert er durch den Palast. Manchmal macht er gar vor meiner Tür nicht Halt!«
Pallas blickt Afranius Burrus amüsiert an. Die Vorstellung, wie der mächtigste Mann der Erde vergeblich an die Tür seiner Ehefrau klopft, amüsiert ihn.
»Auch sein Hang zu Grausamkeiten nimmt zu«, seufzt Agrippina, »er liebt es, Folterungen, sogar Hinrichtungen zuzusehen, und seit der misslungenen Verschwörung des Furius Camillus Scribonianus vermutet er hinter jedem Vorhang einen Mörder. Wenn ich ihn besuche, zwingt er mich, mich komplett auszuziehen und befingert schamlos meine Körperöffnungen, ob ich auch nur ja keinen Dolch dabei habe.«
»Dieses Misstrauen hat nicht weniger als fünfunddreißig Senatoren und etwa dreihundert Rittern den Kopf gekostet, aber die Staatskasse erheblich aufgebessert ... Immerhin war er klug genug, die Lücken in den Reihen dieser Männer durch Männer seiner Wahl aufzufüllen«, fährt der Kommandant der Leibwache fort.
Agrippina erhebt sich und geht zum Fenster. Ihr Blick fällt vom Palatin herab auf die ausgestorbenen Gassen der Stadt. Einige Müßiggänger trotzen der Hitze und wandeln im Schatten derArkaden. Von Süden her zieht ein Gewitter herauf, erste tiefschwarze Wolken haben die Sonne schon zum Teil verdunkelt und verheißen ein aufkommendes Unwetter.
»Etwas anderes bereitet mir mehr Sorge«, wendet sich Agrippina wieder an ihre Vertrauten. »Wie ist die Situation in der Ubierstadt? Wir haben bisher weder von Marcus Valerius Aviola noch von unseren Agenten etwas gehört. Ist das nicht genug Anlass zur Sorge?«
»Immerhin haben wir Nachricht von Niger und wissen, dass Pertinax tot ist«, sagt Pallas und betrachtet gelangweilt seine gefärbten Fingernägel, »so weiß die andere Seite auch nichts.«
»Aber irgendwie ist die Sache außer Kontrolle«, ereifert sich die Kaiserin, »das will mir nicht gefallen. Wieso schickt der Bursche keine Nachricht?
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