Agrippina - Kaiserin von Rom
stand hinter Valerius. »Ich bin Decimus Flavius Caecina. Willst du mir bitte in mein Tablinum folgen?«
Valerius folgte dem Hausherrn in ein sehr geschmackvoll eingerichtetes Arbeitszimmer. Das Mobiliar bestand ganz aus gewachstem Zedernholz und verbreitete ein würziges Aroma. Mit Bücherrollen gefüllte Holzregale beherrschten zwei Wände. Auf der anderen Seite stand ein Kohlebecken, das zur Freude des frierenden Tribuns eine angenehme Wärme ausstrahlte.
»Darf ich dir in Anbetracht der Kälte einen Becher heißen Mulsum anbieten?«
Valerius nahm dankend an. Das hatte er noch nie probiert, aber vielleicht konnte er ja so der Kälteschauer Herr werden, die seinen Körper durchliefen. Während Decimus Flavius Caecina einer älteren Sklavin Aufträge erteilte, bestand Gelegenheit, den Hausherrnnäher zu betrachten. Ein Römer vom Scheitel bis zur Sohle, dachte Valerius. Die verbliebenen weißen Haare lagen wie ein Lorbeerkranz um seine hohe Stirn, das aristokratische, von Falten durchzogene Gesicht wirkte asketisch-streng, aber nicht unfreundlich. Er trägt seinen Beinamen »der Strenge« wohl zu Recht, vermutete Valerius. Sein Blick fiel auf die makellose weiße Toga, die einen schlanken Körper einhüllte und einen so ordnungsgemäßen Faltenwurf aufwies, als ob er auf dem Weg zur Senatssitzung wäre.
»Du liest sehr viel ...«, nahm der Tribun das Gespräch auf. Während eine Sklavin hereinkam und den gewärmten Honigwein, dazu etwas Gebäck und Obst brachte, studierte Valerius interessiert die Schriftregale.
»Ja, seit ich meinen Abschied aus der Politik genommen habe. Cäsars Commentarii de bello Gallico, Ciceros De re publica , Sallusts De coniuratione Catilinae, aber auch Catos De agricultura wirst du finden. Nicht zu vergessen unsere großen Dichter: den Epiker Vergil, den Lyriker Catull oder die Elegiker Tibull und Properz. Bevorzugst du den Satiriker Horaz, so suche nach den blauen Bändchen, liebst du eher die Metamorphosen des Ovid, so nimm die roten, und ist dir nach dem schweren Werk des Lucretius, so ergreife das gelbe Band. Liest du gerne die Briefe, die Cicero oder Ovid aus ihrer Verbannung geschrieben haben, so suche oben in der rechten Ecke.« Bei dem Wort »Verbannung« wurden seine Züge härter.
»Du lebst hier auch wie in einer Verbannung, nicht wahr?« Valerius war über sich selbst erstaunt und bereute sofort seine so plötzlich geäußerte Vermutung. Aber der ehemalige Aedil nickte nur, und ein Schmerz zuckte über seine Mundwinkel.
»Es ist in Rom nichts mehr, wie es einmal war, Tribun. Wo einst der Senat, die Zusammenkunft der Besten, regierte, wo einmal ein großer Princeps wie der göttliche Augustus herrschte, da bestimmen jetzt Freigelassene. Wer früher einmal auf der Schwelle seines Patrons die morgendliche Visite erwartete, der hat sich jetzt selbst zum Herrn aufgeschwungen. Und damit nicht genug. Hatte Rom einst die Eskapaden einer buhlenden Messalina ertragen, so wird es jetzt vom Rock der Agrippina beherrscht, und man weiß nicht, was verderblicher ist.«
Die letzten Worte waren voller Bitterkeit, und eine steile Falte des Zorns hatte sich auf seiner Stirn gebildet. Mit bebender Stimme fuhr er fort: »Da war für mich und meine Familie kein Platz mehr in Rom. Pallas, dieser ehemalige Sklave, der seine sklavische Gesinnung nie abgelegt hat, hat mir, dem ehemaligen Aedil von Rom, nahe gelegt, uns einen neuen Wohnsitz zu suchen, bevor der Bannstrahl des Exils mich wie einst Ovid nach Tomi oder in eine andere Einöde zwänge. Da habe ich mich für die freundliche Stadt der Ubier entschieden, und meine Frau und ich haben es nicht bereut. Verzeih das offene Wort. Wenn die Götter wollen, hat es mir geschadet, aber deine offenen und ehrlichen Züge lassen mich eher das Gegenteil vermuten.«
Valerius nahm einen tiefen Zug des heißen Getränks und spürte, wie sich die Wärme in seinem Körper ausbreitete.
»Nie, edler Decimus Flavius, werden deine Worte diesen Raum verlassen, mein Offizierswort darauf. Vieles von dem, was du sagst, will ich nur zu gern bestätigen. Ich bin ein Tribun des Kaisers und sehe betrübt, wie die Zustände im Palatium sich verändern. Doch es liegt nicht in meinen Händen, die Dinge zum Besseren zu wenden.«
Der Patrizier nickte. »Aber die gemeinsame Klage über das traurige Los der Res publica Romana war es sicher nicht, was dich zu früher Stunde in mein Haus führte.«
»Nein. Natürlich nicht! Es geht um deinen Sohn Spurius!«
Das Gesicht des
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