Agrippina - Kaiserin von Rom
Hausherrn verdunkelte sich, seine Augenlider zuckten und seine feinen Hände strichen fahrig über die Toga. »Mein Sohn! Mein einziger Sohn, von der Hand eines Meuchelmörders niedergestreckt und auf der Stirn für immer gezeichnet. Was hast du damit zu tun, Tribun?« Seine Hände ballten sich, und er wartete mit äußerster Anspannung auf die Antwort.
»Dein Sohn ist nur einer von vielen, die demselben Täter zum Opfer gefallen sind. Alle trugen sie jenes Zeichen, aber er ist der Einzige, der den Anschlag bislang überlebt hat. Ich bin damit beauftragt, diese Mordserie aufzudecken, und möchte deinen Sohn dazu befragen. Vielleicht kann er mir mehr über den Täter oder die Hintergründe sagen.«
»Über den Täter? Ein Bettler war’s, wie er sagt. Aber sicher war das nur Verkleidung. Im Übrigen irrst du, Tribun. Auch er wird denAnschlag nicht überleben. Die Ärzte können ihm nicht mehr helfen, und es scheint nur noch eine Frage von Tagen zu sein, bis die Parzen seinen Lebensfaden abschneiden. Über die Hintergründe schweigt er sich aus. Selbst wenn ich ihn mit väterlicher Strenge befrage, murmelt er etwas von einem Schwur, der alle bindet, und schweigt! Dabei gäbe ich mein gesamtes Vermögen, um herauszufinden, wer meinen einzigen Sohn umgebracht hat ... Du musst wissen, schon in Rom hat er sein Herz einer orientalischen Sekte geöffnet, und das war auch einer der Gründe, weshalb wir in diese weit entfernte Provinzstadt gezogen sind. Wir glaubten nämlich, dass wir diesem Übel hier nicht begegnen würden. Aber wie haben wir geirrt! Auch hier hat der Aberglaube schon Fuß gefasst, und so kam unser junger Spurius mitten in eine aufblühende Gemeinde. Und die Anführer dieser Leute, Maternus und Eucharios und ein Dritter namens Valerius, sie tun alles, um den Geist ihrer Gefolgsleute zu verwirren. Sie leugnen die alten Götter und ziehen alles, was uns Römern als Tugend gilt, in den Schmutz ihrer Lehre. Und ein rechter Träumer wie Spurius ist da ein nur zu leichtes Opfer. Sie beten einen Mann an, der unter Tiberius in Judäa am Kreuz starb, stell dir das vor! Der Mann starb den Tod eines Verbrechers, eines Sklaven, und er gilt ihnen als Gott. Sie nennen ihn den Gesalbten und halten ihn für den Sohn des einzigen und wahren Gottes. Dabei kennen sie noch nicht einmal den Namen dieses Gottes!
Ich habe es in Liebe und mit Strenge versucht, aber nichts wollte helfen. Am Schluss habe ich nachgegeben und ihm seinen neuen Glauben gelassen – in der Hoffnung, dass er von selbst den rechten Pfad des Römertums wieder findet. Hätte ich das doch nie getan!«
Flavius Caecina war so weit Vater, dass ihm Tränen in den Augen standen, aber auch so viel römischer Patrizier, dass sie nicht flossen. Nur zu gut verstand Valerius, was in dem Mann vorging.
»Dann hat es also keinen Zweck, ihn zu befragen?«
Caecina kratzte sich am Kinn und fixierte Valerius mit scharfem Blick. »Eine Idee hätte ich, eines Vaters allerdings kaum würdig! Doch heiligt der Zweck mitunter die Mittel, und wenn wir auf diese Weise etwas über die Mörder erfahren können, so müssen wir es versuchen.«
»Wie meinst du das?« Valerius blickte seinen Gastgeber völlig ratlos an. Caecina schwieg einen Augenblick, dann sagte er leise und langsam: »Du erinnerst dich an die Reaktion meines Türhüters?«
»Türhüters?« Valerius verstand gar nichts.
»Er verwechselte dich im trüben Licht des beginnenden Tages mit jenem Eucharios, wie er mir mitteilte, einem ihrer Anführer. Nun, ich habe den Mann nur einmal gesehen, aber so weit ich mich erinnern kann, siehst du ihm wirklich recht ähnlich. Ihr seid in etwa gleich groß, habt beide schwarze lockige Haare. Er ist etwas schmaler als du und seine Stimme etwas heller, aber das muss nicht auffallen.«
»Auffallen? Wobei?«
»Sind Prätorianertribune immer so begriffsstutzig? Du wirst zu ihm gehen, und er wird dich in seinem Fieber für Eucharios halten. Das bedeutet, er wird mit dir über all das sprechen, worüber er mit dir als Tribun oder mit mir als Vater nie sprechen würde, verstehst du?«
Valerius’ Gesicht leuchtete auf. »Bei Jupiter, das könnte gelingen. Ist der Raum, in dem er liegt, verdunkelt?«
Caecina nickte: »Ich werde dich als Eucharios bei ihm ankündigen. Die Götter mögen mir diesen Trug verzeihen, aber es scheint die einzige Möglichkeit zu sein, seine verstockte Zunge zu lösen.«
Sie erhoben sich, und Caecina führte den Tribun durch das Atrium zu einem der
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