Ahoi Polaroid
zu spionieren. Er hatte andere aus der DDR emigrierte Sportler ausgehorcht, um diese Erkenntnisse direkt an das Ministerium weiterzureichen. Die Managertätigkeit bei einem Zweitligaclub der Bundesliga in der neuen Spielzeit, die er anvisierte, wäre bei Bekanntgabe seiner unrühmlichen Vergangenheit natürlich auch hinfällig gewesen.
Und was sagt uns das alles?, überlegte Plotek, während er die Datei IM Herz öffnete.
Es schien tatsächlich so zu sein, dass sich irgendjemand, vermutlich ein Opfer, an den fünf Stasi-Spitzeln rächen wollte. Brutal, blutig und vor allem tödlich. Was Charlotte Liebermann mit all dem zu tun hatte, diejenige, die den Aufzeichnungen nach alle fünf IMs für die Stasi angeworben hatte, war Plotek nach wie vor nicht klar. Aber auch das würde er noch herausfinden. Musste er herausfinden. Um Vinzi zu retten. Der erste Schritt dahin war, diesen aufzuspüren, bevor auch er die Augen verlor. Was im Rahmen der Täterlogik allemal zwangsläufig war. Da ließ die Datei IM Herz keinen Zweifel aufkommen. Das hier beschriebene Leben von Vincent Angerer als jahrelanger Stasi-Mitarbeiter, das Plotek in seinen Grundzügen schon durch Vinzis Beichte vor ein paar Tagen kannte, reichte locker für zwei amputierte Augen. Und wenn man die Logik der Mörder weiterspann, würde der liebe Vinzi auch noch das Herz verlieren. Nicht nur im übertragenen Sinne. Das galt es natürlich zu verhindern. Das war Ploteks Aufgabe.
»Na, am Chatten?« Plotek erschrak. Es war dieses Mal nicht Urs Eschenbach, sondern der Schriftsteller, der mit einem blauen Auge und zerknittertem Anzug neben ihm stand. Plotek hatte ihn nicht kommen hören. Als Antwort beließ er es erstmal bei seinem bewährten »Hmm«.
»Und? Haben Sie mal Herlinde Vogler-Huth eingegeben?«
»Nö.« Plotek stand auf. Er zog den Stick aus dem Computer und ließ den Schriftsteller einfach stehen.
»Sollten Sie aber!«, rief der ihm hinterher.
Leck mich, dachte Plotek. Vielleicht sollte ich lieber mal deinen Namen eingeben.
Dabei fiel ihm auf, dass er gar nicht wusste, wie der Kerl hieß.
»Verzeihen Sie?«
Der Steward, dieses Mal ein Kollege des Blonden mit der Gelfrisur, der aber nicht weniger freundlich wirkte und ähnlich künstlich lächelte, schien überrascht. Er erkannte Plotek natürlich sofort. Der nervige Krüppel im Rollstuhl und sein verlotterter langhaariger Freund hatten vor allem bei den Stewards und Stewardessen nicht nur an der Rezeption Spuren hinterlassen. Der Steward schien sich beim Anblick Ploteks zu fragen, wo denn dessen bärtiger Freund im Rollstuhl abgeblieben war.
»Ja? Bitte?« Offenbar erwartete er die Frage nach der Passagierliste und verharrte mit dem Blick auf dem Computerbildschirm. Plotek traute sich nicht, schon wieder nach der Liste zu fragen. Und ob Vincent Angerer sich noch darauf befände. Er befürchtete, das Schiffspersonal könnte misstrauisch werden; zumal er nicht wusste, ob nicht einer von ihnen in die Sache verstrickt war. Vielleicht sogar der hier? Dennoch wollte er nichts unversucht lassen, Vinzi zu finden.
»Was kann ich für Sie tun?« Der Steward wendete sich Plotek jetzt ganz zu.
»Nun, es ist etwas delikat«, begann Plotek. Der Steward horchte auf, ohne dass sein Lächeln ganz verschwand. »Es ist nämlich so: Es geht um mein Amulett, ein Erbstück meiner verstorbenen Mutter. Nicht wertvoll, ich meine materiell. Ideell dafür umso mehr. Wenn Sie verstehen, was ich meine?« Der Steward lächelte ihn starr an. »Es ist also so, dass ich bis gestern noch dieses Amulett mit einem Bild meiner Mutter um den Hals trug.« Er zeigte an seinen Hals. Wo sich jetzt natürlich nichts befand. Der Steward nickte kurz, eine professionelle Routine. »Heute früh allerdings war das Amulett weg. Also, vermutlich hat der Verschluss sich gestern Abend gelöst, als ich auf dem Schiff unterwegs war, verstehen Sie? Kann ja mal passieren, nicht wahr?« Kurzes Nicken, mit einem Anflug von Bedauern. »Fazit: Ich muss dieses Erbstück, dieses Amulett, verloren haben.« Plotek unterbrach sich, legte die Stirn in Falten und sagte, als käme es ihm jetzt gerade in den Sinn: »Oder vielleicht hat es mir auch irgendjemand...« Jetzt sah er so aus, als wollte er den Gedanken erst gar nicht zu Ende denken. »Aber nein, nein, das ist nicht vorstellbar. Zumal das Amulett ja für jeden anderen völlig wertlos ist.« Der Steward nickte, als sähe er das genauso. »Jetzt dachte ich, ich könnte das hier vielleicht bei Ihnen an
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