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Ahoi Polaroid

Ahoi Polaroid

Titel: Ahoi Polaroid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo Swobodnik
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erleichtert.
    Die hat doch nicht mehr alle Tassen im Schrank, dachte Plotek. Er vermied es, an ihre Lippen, den Mund und das Gesicht zu denken. Was aber misslang.
    »Eigentlich haben Sie gar keine Wahl.« Paula sah noch immer nach draußen und redete wie mit ihrem Spiegelbild in der Scheibe. »Wenn Sie mich nicht küssen, küsse ich Sie eben. Für meine Mutter macht das sicher keinen großen Unterschied.«
    »Und für Sie?«, fragte Plotek, der jetzt ebenfalls der vorbeiziehenden kargen Landschaft zuguckte.
    »Auch nicht.« Paula schmunzelte leise vor sich hin. »Aber für Sie!«
    »Was?«
    »Ja. Wenn Sie mich küssen, sind Sie meine Mutter höchstwahrscheinlich los. Wenn ich Sie küsse, verstößt sie mich. Und sie wird Ihnen weiterhin auf die Pelle rücken.«
    Keine schönen Aussichten, dachte Plotek. »Das ist Erpressung.«
    »Finden Sie? Ich glaube, Sie haben keine Wahl.« Sie löste ihren Blick von der Landschaft und sah Plotek an. »Nutzen Sie sie.«
    Wieder ein Lächeln in diesem teigigen schwitzenden Gesicht.
    »Prost.«
    »Prost.«
    Sie stießen mit den weißen Plastikbecherchen an und tranken den Aquavit. Wobei Herlinde ein paar Reihen weiter vorne vor Eifersucht zu platzen drohte.
    »Und warum?«, fragte Plotek nach einer Weile. Paula starrte wieder aus dem Fenster, als liefe dort ein abwechslungsreiches Unterhaltungsprogramm, obgleich nur eintönige Gesteinslandschaften mit Schnee zu sehen waren.
    »Warum was?«
    »Warum wollen Sie sich von Ihrer Mutter lösen?«
    »Ist das ein Witz?« Es klang todernst. »Sie hat mich schon lange genug dominiert.«
    »Und was wollen Sie machen?«
    »Hä?«
    »Ich meine allein, ohne Ihre ...«
    »Wenn ich zurück bin, suche ich nach meinem Vater.« Sie warf einen bösen Blick ein paar Busreihen nach vorne, wo ihre Mutter nach wie vor mit rotglühenden Wangen vor Eifersucht dampfte. »Den hat sie auch auf dem Gewissen.«
    Na, der wird sich aber freuen, dachte Plotek. Er hob sein Becherchen.
    »Prost.«
    »Prost.«
    Als sie am Nordkap ankamen, blies ein eiskalter Wind. Am liebsten wäre Plotek im Bus sitzen geblieben. Aber keine Chance. Dem Globus, dieser mächtigen und symbolträchtigen Stahlskulptur auf dem Plateau, einen Besuch abzustatten galt als Pflicht. Die Reisenden waren begeistert. Weniger von dieser überdimensionalen Erdkugel auf Stelzen. Vielmehr von dem Ort an sich. Dem Ende der Welt, wie es hieß. Für Plotek war dieser Ort nichts anderes als windig und kalt. Und nass. Es fing nämlich wieder an zu regnen. Nicht stark, aber immerhin so, dass man nass wurde. Plotek wurde also nass. Die anderen öffneten ihre kleinen Regenschirme und hielten sie gegen den Wind, so dass sie eigentlich gar nichts vom Ende der Welt sehen konnten. Wobei es da auch nicht viel zu sehen gab. Das Nordkap-Plateau auf einer 307 Meter hohen Schieferklippe auf 71°10‘21“ nördlicher Breite war eine wenig ansehnliche und verlassene Gegend im jetzt tosenden Wind. Stände da nicht diese etwas zu protzige Weltkugelskulptur, die dem Ort einen mehr mystischen als realen Glanz verlieh, hätte es auch ein Steinbruch in einem ehemaligen und jetzt gefluteten Braunkohleabbaugebiet in Ostdeutschland sein können. Trist und trostlos.
    Komisch, dass alle Hurtigruten-Reisende unbedingt einen Blick auf diesen in seiner Faszinationsarmut kaum zu überbietenden Flecken Erde werfen müssen. Über 200 000 Touristen stehen sich jährlich an dieser Attraktion, die auch noch auf einer Lüge basiert, die Beine in den Bauch. Der wirklich nördlichste Punkt Europas ist nämlich die etwas östlich vom Nordkap gelegene Insel Kinnarodden. Dennoch preisen alle Reiseführer diesen hässlichen Ort als einen der Höhepunkte der Tour. Sogar als den Höhepunkt an sich. Angesichts dessen sich berühmte Reisende zu hymnischen Sätzen verstiegen haben, wie zum Beispiel der italienische Pfarrer Francesco Negri im Jahre 1664: »Hier, wo die Welt endet, nimmt meine Neugier ein Ende, und ich kehre zufrieden nach Hause zurück.« Na dann arrivederci, dachte Plotek. Denn da sieht man mal wieder: Das Aussehen wird irrelevant, wenn die Bedeutung oder die Projektion selbiger steigt. Bei näherer Betrachtung sieht dieser letzte Zipfel, das Ende der Welt, sicher auch nicht anders aus als ihr Anfang, der erste Zipfel.
    »Wie schön!« Auch andere als Francesco Negri schienen von diesem belanglosen Flecken angetan. Mausi Weber guckte, als wäre das nicht das Ende der Welt, sondern der zwanzig Meter hohe Weihnachtsbaum aus Plastik, der

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