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Ahoi Polaroid

Ahoi Polaroid

Titel: Ahoi Polaroid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo Swobodnik
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mit seinen über einhundert Kilogramm Körpergewicht fett und unbeweglich auf dem Schlauch. Intuitiv wusste er nur: Das war ein Zeichen. Wofür, blieb ihm schleierhaft. Woraufhin er die Zeilen noch einmal durchlas, Wort für Wort. Um auf den zweiten, dritten, vierten Blick vielleicht etwas dazwischen zu erkennen, das ihm beim ersten Mal entgangen war. Und tatsächlich: Wie aus dem Nichts schien zwischen den Zeilen etwas auf. Wie ein Himmelskörper, ein Götterfunke, ein Neptun. Plotek fiel schlagartig ein Codewort ein. Das Passwort für die Dateien auf dem USB-Stick.
    Er zog sich an und machte sich auf den Weg zum Panoramasalon Brotoppen auf Deck 8, wo er in das Internetcafe wollte, das um diese Zeit logischerweise völlig verwaist war. Dort angekommen, schaltete er den Computer ein, der wieder eine Ewigkeit brauchte, um hochzufahren. Als das Gerät schließlich so weit war, wurde Plotek erneut vom Bildschirmhintergrund überrascht. Das Bild zeigte dieses Mal nicht den sozialistischen Bruderkuss. Das waren nicht Honecker und Breschnew, die ihn da anguckten. Viel schlimmer! Das war Steffen Sailer! Nackt! Die Haare standen ihm zu Berge, als wäre er mit Stromstößen traktiert worden. Sailer hatte Verbrennungen am ganzen Körper, zahlreiche Spuren von Folter waren sichtbar. So wie bei Augustin und Kuhlbrodt auf den Polaroids, fehlten auch bei ihm die Augen. Wieder nur zwei schwarze blutige Löcher.
    Plotek schob den Stick in den PC. Die Dateien erschienen auf dem Bildschirm in Höhe der herausgetrennten Augen von Sailer. Er klickte die Datei IM Broiler an, woraufhin das Fenster für das Passwort aufging. Plotek überlegte kurz und tippte dann Hund ein. Das Fenster verschwand, die Datei ging auf.
    Was Plotek dann sah, verschlug ihm die Sprache. Nicht nur, dass IM Broiler ganz eindeutig identisch mit Hubertus C. Bruchmeier war. Vor allem enthielt das Dokument mehrere Hundert Seiten starke Aufzeichnungen, Protokolle, Spitzelberichte von eben diesem IM Broiler für die Staatssicherheit der DDR, die Bruchmeier schon bei flüchtiger Betrachtung nicht nur als jahrelangen informellen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit überführten, der vor allem Angestellte von Theatern in der BRD ausspioniert und die Daten an die Stasi weitergeleitet hatte. Der Mann hatte auch über Uraufführungen von DDR-Autoren im Westen der Republik informiert, quasi von vorderster Front. Bruchmeier hatte DDR-Schriftsteller bei ihren Westbesuchen observiert, etwa den Dramatiker Heiner Müller, um ihre Verhaltensweisen und Äußerungen an die verantwortlichen Stellen im Osten weiterzuleiten. Die Aufzeichnungen auf dem USB-Stick, bei denen es sich offenbar um digitale Scans von Kopien handelte, hätten, würden sie veröffentlicht, zur Folge gehabt, dass Hubertus C. Bruchmeiers Karriere am Theater ein für alle Mal und auf ewig erledigt gewesen wäre, ob im Badischen oder sonst wo. Das schien ihm selbst auch klar gewesen zu sein.
    Plotek war sich nun recht sicher, dass jemand mit der Veröffentlichung gedroht hatte, falls Bruchmeier die Hurtigruten-Reise nicht antrat. Dem Spitzel war also nichts anderes übriggeblieben, als sich, ob er wollte oder nicht, auf der MS Finnmarken der Ungewissheit auszuliefern. Und dass das für ihn nur schwer erträglich war, hatte man ihm während der gesamten Reise anmerken können.
    Mit Hund als Passwort öffnete Plotek auch die anderen Dateien. Als Nächstes offenbarte sich ihm die minutiös dokumentierte jahrelange Stasi-Tätigkeit von Lars Kuhlbrodt alias IM Johannes. Kuhlbrodt hatte tatsächlich die Grünen in den achtziger Jahren ausgehorcht und die Ergebnisse regelmäßig an die Stasi weitergeleitet. Und auch für ihn galt logischerweise: Bei Bekanntwerden dieser belastenden Vergangenheit wäre seine politische Laufbahn unwiderruflich zu Ende gewesen. Nicht nur bei den Grünen. Generell.
    Es folgte IM Jesus alias Pastor Ralf Augustin. Auch seine mehrere Hundert Seiten lange Datei bewies eine umfassende Stasi-Tätigkeit im Westen. Er hatte nicht nur die westdeutsche Friedensbewegung der achtziger Jahre gnadenlos ausspioniert. Auch die evangelische Kirche in der BRD, in der er im Laufe der Zeit in mehreren Funktionen Verantwortung übernommen hatte, war vor ihm nicht sicher gewesen.
    Bei IM Stürmer alias Steffen Sailer schließlich war es ein bisschen anders. Er war, wie aus den Unterlagen hervorging, offenbar von der Stasi erpresst und dazu gezwungen worden, nach seiner Flucht in den Westen für diese

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