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Ahoi Polaroid

Ahoi Polaroid

Titel: Ahoi Polaroid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo Swobodnik
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drängte es aber in den Gastraum. Drinnen oder draußen – egal. Nach der langwierigen Busreise in der spätsommerlichen Hitze war es das größte Bedürfnis der beiden, ihren Durst zu stillen. Was war eine Runensammlung schon gegen ein frisch gezapftes Bier? Was ein kosmopolitisches Flair gegen einen herbfrischen Hopfengeschmack? Was eine verirrte Kanonenkugel aus dem 17. Jahrhundert gegen den berühmten norwegischen Aquavit, der über vier Monate lang in alten Sherryfässern zum Reifen auf Schiffen rund um den Globus geschickt wird?
    »Nichts!« Vinzi winkte mit der Hand ab, als vertriebe er lästige Stechmücken vor dem Gesicht. »Gar nichts!« Die Hand wedelte weiter. »Das kannst du alles im Reiseführer nachlesen.« Jetzt wedelte er gleich mit dem ganzen Reiseführer, den er kurz zuvor in einem Kiosk erworben hatte.
    »Aber die unvergleichliche Atmosphäre eines Wirtshauses, vor allem so einem, das über 300 Jahre auf dem Buckel hat, ist nur zu erleben, zu erfahren. Hier, jetzt, heute. Hautnah und leibhaftig. Ganz und unmittelbar. Da brauche ich keine Runen, keinen Wikingerkitsch, keine Aussicht. Die Einsicht, dass hier der eigentliche Puls des Landes schlägt, dass hier das Herz des norwegischen Trinkers den Takt angibt, dass hier in der Gaststättenluft beim Schaum des Bieres die Geschichte transpiriert, die reicht doch. Hier wacht beim Geruch der Kjottkaker und im Angesicht der Fårikål der Geist der Vergangenheit. Ganz unsentimental.«
    Na ja, das klingt jetzt doch ein wenig pathetisch, dachte Plotek. Er bestellte, ganz nüchtern und emotionslos zwei Bier und fragte: »Kjottkaker?«
    »Fleischklopse in brauner Soße!«, kam es von Vinzi wie aus der Pistole geschossen, als wäre das keine Speise, sondern ein nationales Heiligtum.
    »Fårikål?«
    »Lammfleischscheiben mit Kohl gekocht!«
    Erstens lief Plotek jetzt das Wasser im Mund zusammen. Und zweitens dachte er, dass sich Vinzi ziemlich gut vorbereitet hatte auf die Reise. Sie stießen an und tranken auf die bevorstehende siebentägige Schifffahrt auf dem Nordmeer, an der Küste Norwegens entlang bis zum Nordkap nach Kirkenes. Dabei schleckte der Hund aus einem Teller mit Goldrand Wasser, das ihm der Kellner, vermutlich voller Mitleid wegen eines fehlenden Beins, an den Tisch gebracht hatte. Als er ihm aber über das Fell streicheln wollte, hüpfte der Hund zur Seite und knurrte.
    Bei dem einen Bier blieb es natürlich nicht. Jetzt muss man wissen, dass die Norweger ein problematisches, auch fragwürdiges Verhältnis zum Alkohol haben. Nicht nur weil alkoholische Getränke fast nicht finanzierbar sind (wenn man nicht zufälligerweise mehrere Geldscheinbündel unter dem Rollstuhl mit sich herumfuhr). Sondern weil Norweger, die eigentlich und geschichtlich betrachtet Säufer vor dem Herrn sind, sich selbst disziplinieren. Oder sich von ihren Gesetzen disziplinieren lassen. Der Verkauf von Alkohol in Flaschen steht unter staatlichem Monopol und darf nur in einem A/S Vinmonopolet-Geschäft erfolgen.
    Auch dem Gastwirt hängt beim Ausschank ein restriktives Regelwerk am Ärmel wie Rotz an der Backe, so dass hemmungsloses, lustvolles Trinken kaum möglich ist. So darf Alkohol nicht nur nicht an Betrunkene ausgeschenkt werden; sie dürfen erst gar nicht ins Wirtshaus. Da wird Trinken zur Qual. Oder eben zur Herausforderung. Und das alles nur, weil vor mehreren Generationen die Norweger offenbar schwerwiegende Probleme damit hatten, sich zu zügeln. Sie besoffen sich ständig dermaßen, dass das Volk an den Folgen langsam aber sicher auszusterben drohte. Da musste auf staatlicher Seite natürlich gehandelt werden. Die Regierenden sahen ihre Macht in einer Bierpfütze davonschwimmen. Denn: ohne Volk kein Staat. Ohne Staat keine Regierenden. Oder: ohne Norweger kein Norwegen. Folge: Restriktion. Oder kurz: Saufverbot. Was nun wiederum zur Folge hat, dass die Norweger im eigenen Land weniger trinken. Dafür aber im Ausland ständig strack sind.
    So wie Plotek und Vinzi jetzt. Nachdem ihnen der Kellner dezent zu verstehen gegeben hatte, dass es zum einen ab jetzt keinen Alkohol mehr gäbe und es zum anderen höchste Zeit wäre aufzubrechen, wenn sie die MS Finnmarken nicht verpassen wollten, verließen die beiden kurz vor acht leicht schwankend die Gaststätte. Man könnte auch sagen: Plotek tänzelte wie der hinkende Hund und Vinzi wackelte dazu rhythmisch im Rollstuhl, als hätte er Hospitalismus. Wobei er unentwegt lachte. Als wäre ganz Norwegen ein Witz. Der

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