Ahoi Polaroid
Aber immer wenn einer der beiden ihn beobachtete, klappten seine zufallenden Augen wieder auf, und er verfiel in höchste Alarmbereitschaft.
»Warum soll uns jemand an den Kragen wollen?«, fragte Plotek. Es klang wenig überzeugend. Es schien, als wüsste er es ohnehin. Er sah zu Vinzi, der ebenfalls den Eindruck machte, als hätte er eine Ahnung.
»Wie viel hast du eigentlich für das Bild bekommen?«
»Achtzigtausend.« Vinzi sagte es leise, als sollte es der Hund nicht hören.
»Achtzig. . .«
»Pscht!« Vinzi legte den Zeigefinger auf seinen Mund. Wie zur Verteidigung der Summe raunte er: »Na ja, war ja immerhin ein Original. Und Ernst Ludwig Kirchner ist nicht irgendwer.«
»Verdammt!«
Als hätte er noch immer ein schlechtes Gewissen, bemühte sich Vinzi um weitere Erklärungen. »Nun, das war ein ganz schön guter Preis. Aber bestimmt ist die Marcella viel mehr Wert. Das Doppelte oder Dreifache. Mindestens. Nur ist illegal, auf dem Schwarzmarkt, natürlich nur ein Teil davon zu erzielen.«
»Für Achtzigtausend bringt man schon mal jemanden um.« Plotek sah dabei aus, als wäre er schon tot.
»Oder zwei.«
»Zumindest wurden für weniger schon mehr umgelegt.«
»Viel mehr.«
Sie schwiegen wieder, sahen zum Hund, dessen Augen sofort wieder aufklappten. Er starrte sie an, als wäre er der Henker. Als wären sie seine nächsten Opfer.
»An wen hast du eigentlich das Bild verkauft?«
»Weiß nicht. War etwas zwielichtig.«
»Zwielichtig?«
»Ja, die Scherzer. Sie hat den Kontakt vermittelt.«
»Elisabeth Scherzer . . .«
Jetzt muss man wissen, dass Dr. Elisabeth Scherzer zwar Kunsthistorikerin ist, aber auch wegen einer unangenehmen Kunstfälschersache in die Bredouille geraten war.
»Ich dachte, die sitzt im Knast«, sagte Plotek, wie wenn man sagt: »Ich dachte, die ist tot.«
»Solche Leute sitzen nicht im Knast. Die haben gute Anwälte.«
»Und wie viel hat sie kassiert?«
»Dreißig Prozent.«
»Dreißig. . .«
»Pscht!« Wieder ging ein Finger an Vinzis Mund. »Die habe ich aber auf den Kaufpreis gleich draufgeschlagen.« Er lächelte. Dann dachten beide wieder still vor sich hin. Ohne diesmal zum Hund zu blicken.
»Vielleicht waren die mit der Ware nicht zufrieden«, meldete sich Plotek nach mehreren Minuten des Schweigens wieder zu Wort.
»Warum sollen die nicht. . .«
»Vielleicht ist das Original gar kein Original«, erklärte Plotek.
»Aber die Scherzer hat doch bestätigt, dass . . .«
»Die Scherzer!« In Ploteks Stimme klang nicht nur Verachtung, sondern auch eine Spur Verzweiflung mit.
»Oder sie hätten gerne beides«, spekulierte Plotek. »Das Bild und das Geld.«
»Kann sein.«
»Dann haben wir jetzt ein Problem.«
»Ein großes sogar.«
Sie verfielen wieder in Schweigen. Der Hund sah aus, als schliefe er.
Keine drei Stunden später kamen sie in Göteborg an, wo sie gerade noch, verschwitzt und außer Atem, den Anschlusszug nach Oslo erreichen konnten. Mit ihnen auch der Hund. Weniger verschwitzt und atemlos. Er ließ sich auch nicht auf dem Zentralbahnhof von Göteborg abschütteln. Obwohl Vinzi ihn gar nicht mehr abschütteln wollte, wie Plotek bemerkte. Er hingegen konnte sich noch immer nicht mit dem Hund anfreunden. Der Hund auch nicht mit ihm.
Nach einer vierstündigen Zugfahrt durch Norwegen, von denen Plotek drei schlief und eine schwieg, kamen sie schließlich in Oslo an. An einem Stehtisch im Bahnhof tranken sie jeder ein Glas Bier. Dabei machte Plotek den Hund mit der Leine am Tischbein fest. Nachdem die Gläser leer waren, mahnte Plotek zum Aufbruch.
»Und der Hund?« Vinzi wollte gerade nach der Leine greifen.
»Den lassen wir hier!« Plotek hielt ihn davon ab. »Um den kümmert sich schon jemand.«
Entsetzter Blick bei Vinzi. »Aber der hat schon das Frauchen verloren.«
»Eben. Bestimmt findet sich ein Herrchen, irgendein alleinstehender Rentner, mit viel Zeit und . . .« Sie sahen sich an. Vinzi lachte. »Oder zwei!«, sagte er.
Was Plotek aber nicht davon abhielt, seine Hände an Vinzis Rollstuhlgriffe zu legen und loszufahren. Ohne den Hund. Der blieb am Stehtisch zurück, jaulend und an der Leine zerrend.
Weit kamen sie allerdings nicht.
»Hallo, Sie?!« Eine junge, sportlich wirkende Frau kam ihnen hinterhergerannt. Mit dem Hund.
»Stehebleibe!«, rief sie radebrechend. »Ihr Hund, vergesse!«
»Scheiße!«, zischte Plotek.
»Danke!«, sagte Vinzi. Er lachte. Der Hund bellte, und die Frau kehrte kopfschüttelnd um.
Vor dem
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