Ahoi Polaroid
schien ihm zu imponieren.
Nachdem sie den Oeresundzug nach Göteborg bestiegen hatten, glaubten sie den Hund, der nicht mehr zu sehen war, im aufgeregten Durcheinander des Bahnhofs schließlich abgewimmelt oder verloren zu haben. Was Vinzi sogar ein wenig betrübte. Plotek nicht. Plotek konnte noch nie etwas mit Hunden anfangen. Die waren für ihn korrupt, laut und stinkend. Katzen waren auch nicht besser. Obgleich er selbst eine adoptierte hatte. Plotek war dennoch kein Tierfreund. Menschenfreund auch nicht. Plotek war ein Einzelgänger. Nur selten an Mitmenschen interessiert. Möglichst nicht mit ihnen konfrontiert. Jetzt pflegte er allerdings ein freundschaftliches Verhältnis zu Vinzi. Was ihm wiederum nicht unrecht war.
Während der dreistündigen Fahrt von Malmö nach Göteborg machten sie sich natürlich über den Tod der Blonden so ihre Gedanken. Zuerst nicht. Zuerst schienen sie das Thema auszuklammern. Zu meiden. Zu umgehen. Sie plauderten über das Wetter. Zogen über Mitreisende her. Widmeten sich anderen Belanglosigkeiten, als wollten sie sich nicht mit Beunruhigendem belasten. Als zwischen den Sitzen aber der weiße dreibeinige Hund wie Phönix aus der Asche erneut auftauchte und die beiden mit schief gelegtem Kopf und hypnotischem Blick anklagend anguckte, war’s vorbei mit den Ablenkungsmanövern und der Herumdruckserei.
»Scheiße, hat er es doch geschafft«, sagte Plotek. Was Vinzi zu einem bewundernden, wie erleichternden Lächeln verleitete. Vinzi mochte nämlich Hunde. Vor allem welche, die nicht so schnell aufgaben. Und noch mehr welche, die nicht dem gängigen Schönheitsideal der Hundehalter entsprachen. Die Hässlichen, Dicken, Unförmigen. Die ranzigen Promenadenmischungen. Solche, die einen zu langen Körper für zu kurze Beine hatten. Einen zu kleinen Kopf bei einem zu langen Schwanz. Am liebsten mochte er aber solche wie den dreibeinigen Hund vor ihnen. Die Krüppel unter den Hunden. Krüppel, wie er selbst einer war. Ob es sich einfach nur um Solidarität unter Gleichen, Mitleid oder doch echte Zuneigung handelte, wusste Vinzi selbst nicht so genau.
»Ich fürchte, den werden wir nicht mehr los.« Davon hingegen war er überzeugt.
»Der hat uns als seine rechtmäßigen Erben auserkoren.« Er lächelte. »Die Königin ist tot, es leben die Könige.«
»Apropos: Warum hält sich so eine Frau einen behinderten Köter?«, wollte Plotek wissen.
»Du meinst, dieser Prinzessin stünde ein frisierter Pudel besser. Ein Boston Terrier, ein Chihuahua, ein Saluki, ein Shih Tzu. Oder ein anderer Rassepinscher?«
»Hmm.«
»Aus Mitleid. Liebe. Oder weil ein Hund mit drei Beinen alle mit vieren aussticht.« Vinzi bückte sich und wollte dem Hund über den Kopf streicheln. Was der aber vereitelte. Er zog den Kopf schnell zur Seite und knurrte gleichzeitig.
»Vielleicht ist der gar nicht so blöd, wie er aussieht.« Plotek konnte sich noch immer nicht mit dem Anblick anfreunden.
»Du meinst also, er sieht blöd aus?«, fragte Vinzi.
»Irgendwie schon. Aber sein Halsband ist hübsch.«
»Stimmt.« Vinzi wollte nach dem daumendicken hellblauen, mit Strasssteinen verzierten Halsband greifen. Ließ es dann aber doch. Weil der Hund jetzt nicht nur knurrte, sondern auch noch die Zähne fletschte. Und er sah aus, als würde er, ohne mit der Wimper zu zucken, auch von ihnen Gebrauch machen. Vinzi zog voller Respekt die Hand zurück. Der Hund beruhigte sich wieder. Ließ die beiden aber nicht mehr aus den Augen.
»Vielleicht hat er gar nicht so Unrecht. . .«
»Wie meinst du das?«, fragte Vinzi.
»Eigentlich war das ja unser Abteil.«
»Scheiße, ja!« Vinzi verstummte. Beide dachten nach. Lange, ohne ein Wort zu sagen. Der Hund saß daneben und schaute ihnen zu, als dächte auch er. Bis Vinzi schließlich leise, als würde er mit sich selbst reden, sagte: »Meinst du, es könnte sein, dass die Kugel gar nicht für die Blonde bestimmt war?«
Wieder Schweigen. Weiter nachdenken.
»Du meinst, der Mörder ist einer blöden Verwechslung aufgesessen?« Plotek fasste die Gedanken in Worte. »Wenn ja, dann haben wir verdammt Glück gehabt.«
»Und hinterher gleich Pech«, fügte Vinzi hinzu. »Weil es ihm irgendwann bestimmt auffällt.« Er atmete tief durch. »Wenn es ihm nicht schon aufgefallen ist.«
»Und dann?«
»Dann müssen wir uns verdammt in Acht nehmen.«
»Scheiße!«
»Das kannst du laut sagen.«
Sie schwiegen wieder eine Weile. Währenddessen kämpfte der Hund mit der Müdigkeit.
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