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Ahoi Polaroid

Ahoi Polaroid

Titel: Ahoi Polaroid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo Swobodnik
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aufzufallen. Denn selbstverständlich redete sie, weil sie glaubte, etwas zu sagen zu haben. Zusätzlich zu dem permanenten Begrabschen der Gesprächspartner hatte sie die Angewohnheit, immer alles zu verbalisieren, was sie gerade empfand. Oder glaubte zu empfinden. Damit zählte sie zu einer verbreiteten Spezies: Menschen, die der eigenen Empfindung sofort eine sprachliche Entsprechung folgen lassen müssen. »Ich bin so traurig«, sagen sie, wenn sie traurig sind. »Ich bin so unsicher«, wenn sie unsicher sind. »Ich bin so geil.« Und so weiter.
    Herlinde Vogler-Huth sagte jetzt: »Ich bin so nervös« und versuchte, ihre Nervosität in verschämtem Gelächter abzufedern.
    Ihre Tochter schien das schon zu kennen. Sie verdrehte heimlich die Augen in ihrem teigigen Gesicht. Woraufhin Urs Eschenbach, der Sohn des Schokoladenfabrikanten, unmerklich schmunzelte. Ruedi Eschenbach hingegen sagte in seinem gemütlich anmutenden Schweizer Dialekt: »Müssen Sie nicht sein, gnädige Frau, wir sind ja bei Ihnen« – und lachte. Laut, herzhaft. So wie jemand lacht, der von sich selbst überzeugt ist. Herlinde Vogler-Huth fasste den Schokoladenfabrikanten an den Unterarm und lachte mit. Es war eher ein Keckern als ein Lachen. Während jetzt Sohn Urs unmerklich die Augen verdrehte.
    »Wissen Sie, ich sage mir immer, Nervosität und Aufregung, schön und gut. Aber das sind bloße Gemütszustände, und Sie dürfen sich davon nicht abhängig machen. Sie müssen das Schicksal selbst in die Hand nehmen. Die Sterne stehen gut, nicht wahr, Urs?« Es klang wie aus der Fernsehwerbung: »Wer hat’s erfunden?«
    Urs nickte halbherzig. Die fette Paula Vogler-Huth horchte auf.
    »Deswegen sind wir hier, ich und mein Sohnemann, nicht wahr?«
    »Ist gut, Papa.« Der Sohn versuchte den Vater zu zügeln. Was ihm aber nicht gelang. Der Schokoladenfabrikant aus der Nähe von Chur in der Schweiz war nämlich, wie Herlinde Vogler-Huth auch, ein geselliger und sehr mitteilungsbedürftiger Mensch, der, wenn er nicht gerade sein Schokoladenimperium ausdehnte wie jüngst mit einem Export nach Südkorea, gerne und ausgiebig über sich selbst redete.
    »Meine herzallerliebste Frau, also seine Mutter«, er zeigte auf Urs, »ist gestorben, erst kürzlich«, sagte Ruedi Eschenbach und hielt Ausschau nach Reaktionen in der Runde. Herlinde Vogler-Huth hätte jetzt an seiner Stelle »Ich bin so traurig« gesagt. Sie sagte aber nichts, legte stattdessen ihre Hand auf die von Herrn Eschenbach, um ihre Anteilnahme auszudrücken. Ruedi Eschenbach erschrak kurz. Er zog seine Hand unter der ledrigen von Frau Vogler-Huth hervor und fügte gar nicht traurig hinzu: »Deshalb suchen wir für meinen Sohn jetzt eine Frau.«
    Auf das Gesicht des Sohnes trat urplötzlich ein roter Schimmer. Außerdem fing er überdurchschnittlich stark an zu transpirieren, unter seinen Achseln bildeten sich kleine Schweißflecken. Vinzi grinste. Plotek, dem seit geraumer Zeit Übelkeit die Speiseröhre hochkroch, dachte: Da kann er ja gleich die fette Vogler-Huth nehmen. Oder die lederne Mutter. Letzteres schien auch Herlinde Vogler-Huth zu denken. Sie blickte den Sohn so schmachtend an, als sähe sie sich selbst schon als Schokoladenfabrikantengattin in den Schweizer Bergen thronen.
    »Sie müssen wissen, der erste Schritt ist, das Gewohnte zu verlassen. Raus aus der eigenen Enge. Der Schweiz. Neue Erfahrungen machen. Andere Menschen kennenlernen. Sie!«, dozierte Ruedi Eschenbach. Er zeigte in die Runde, als wären die am Tisch sitzenden Passagiere alle seine potentiellen Schokoladenkunden und hätten einen braun verschmierten Mund. »Lassen Sie uns darauf anstoßen!«
    Alle hoben das Glas und prosteten sich zu. Während Urs und Paula synchron die Augen verdrehten und bei Plotek nun auch im Magen ein flaues Gefühl gärte.
    »Da kann ich Ihnen nur beipflichten, mein lieber Herr Eschenbach«, übte sich Frau Vogler-Huth als angehendes Mitglied des Schokoladenimperiums in Heuchelei. »So eine Reise, zumal sie auch noch als eine der schönsten der Welt gilt, lädt förmlich dazu ein, die ausgetretenen Wege zu verlassen, die Gewohnheiten über Bord zu werfen, sich selbst mit dem Neuen zu konfrontieren. Ich denke, da werden sich hier genügend Gelegenheiten finden, Erfahrungen zu machen, die einem woanders nicht widerfahren, weil man erst gar nicht bereit für sie ist. Vielleicht sogar Erfahrungen der Liebe.« Sie sang das Wort Liebe geradezu, keckerte wieder und schmachtete in Richtung

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