Ahoi Polaroid
Bahnhof wartete ein Shuttlebus, der sie nach Bergen zum Hafen bringen sollte, an die Anlegestelle der Hurtigruten. Am Shuttlebus erkannten sie die braungebrannte sächselnde Sportskanone mit den gegelten Haaren und der leicht getönten Brille wieder. Auch er bestieg den Bus. Aber ohne die Föhnfrisur. Seine hessische Bumspartnerin war nirgends zu sehen. Als er Vinzi und Plotek erkannte, sah er weg, als wäre ihm die laute Vögelei im Nachhinein peinlich. Was Vinzi wiederum zu einer Reaktion provozierte.
»Na, auch hier?«, fragte er, wie man fragt: »Testosteron wieder im Griff?«
Der Mann nickte stumm und verdrückte sich ganz nach hinten in den Bus. Auch der Hund sah so aus, sicher angespornt durch das entschlossene Eingreifen der jungen Norwegerin, als wäre für ihn die Reise hier noch nicht zu Ende. Was Vinzi und Plotek höchst unterschiedlich bewerteten.
»Der mag uns«, sagte Vinzi, ohne dass er ihm über den Kopf streicheln wollte, weil er genau wusste, dass der Hund dann wieder mit den Zähnen fletschen würde.
»Mich nervt er.«
»Ehrlich. Ich finde, wir sollten ihn mitnehmen.«
»Was?« Entsetzen bei Plotek. Mehr gespielt und wenig überzeugend. Eigentlich hatte er sich damit schon abgefunden.
»Ich finde, er hat ein Recht darauf.«
»Warum das denn?« Unverständnis von Plotek. Jetzt weniger gespielt. Dafür umso überzeugender.
»Vielleicht war die Blonde ja auch unterwegs zum Hurtigruten-Schiff. Mit ihm. Zusammen wollten sie möglicherweise ebenfalls zum Nordkap. Jetzt ist sie tot. Aber er lebt.« Als wollte der Hund ihn bestätigen, bellte er. Woraufhin Plotek erschrak.
Vinzi fuhr mit seinem Plädoyer für den Hund fort. »Das Nordkap ist für ihn ohne uns nicht zu erreichen.«
»Ich glaube, dem Hund ist es ziemlich egal, ob er am Nordkap . . .«
»Glaube ich nicht«, ging Vinzi dazwischen. Der Hund sah ihn an, als wüsste er Bescheid.
»Hunde sind auf den Hurtigruten allerdings verboten«, überlegte Vinzi nun. Was Plotek als Bestätigung auffasste.
»Eben.«
»Müssen wir ihn eben reinschmuggeln.« Vinzi warf dem Hund einen verschwörerischen Blick zu. Der warf den Blick zurück.
»Du spinnst doch!«, setzte Plotek zu einer letzten Erklärung an. Was Vinzi aber vereitelte. »Stimmt. Aber du doch auch.« Er grinste übers ganze Gesicht. »Und der hat sicher auch nicht mehr alle Tassen im Schrank, oder?!« Er zeigte auf den Hund und lachte. Plotek schaute skeptisch. Der Hund bellte. Plotek erschrak erneut.
»Und wie willst du das machen?«
»Da fällt mir schon was ein.« Er dachte nach. Es fiel ihm zwar nichts ein. Er fragte aber trotzdem: »Abgemacht?«
»Aber nur, wenn du dich alleine um den Köter kümmerst«, antwortete Plotek.
»Abgemacht.«
4
Das Hurtigruten-Schiff MS Finnmarken lag im Hafen am Kai Nostebryggen in Bergen, der ehemaligen Hansestadt und heimlichen Hauptstadt Norwegens. Bis es am Abend gegen 20 Uhr abfuhr, hatten Plotek und Vinzi noch ein wenig Zeit. Natürlich hätten sie sich die Kulturmetropole mit ihren 250 000 Einwohnern an der inneren Bucht des Byfjords, umgeben von sieben Fjellhöhen, genau anschauen können. Was hätten sie da gesehen? Viel. Sehr viel sogar. Zum Beispiel die Festung Bergenhus. Oder der im Renaissancestil errichtete Wehrturm Rosenkrantztarnet. Auch das Bryggenmuseum sollte man mal besucht haben, wegen der größten Runensammlung der Welt. Ebenso wäre die Domkirche St. Olav aus dem 12. Jahrhundert einen Besuch wert gewesen. Dann hätten sie gesehen, dass in der Wand des Kirchturms eine Kanonenkugel von 1665 steckte. Aus der Schlacht in der Bucht von Bergen. Außerdem war da noch die romanische Basilika Marienkirche, die nach dem Vorbild des Speyerer Doms erbaut worden war. Oder der Torget, der Markt von Bergen mit seinem kosmopolitischen Flair. Genauso gut hätten sie auch mit der Seilbahn auf den Aussichtsberg Floyen hochfahren und von dort aus das traumhafte Panorama der Stadt genießen können.
Aber nichts von alldem schien die beiden zu locken. Überhaupt zu interessieren. Sie ließen die Sehenswürdigkeiten und Kunstsammlungen links liegen und begaben sich nicht weit vom Hafen in die Bryggen Tracteursted. Dort stand das älteste Gasthaus Norwegens, ein von außen angestrichener Holzschuppen, der aussah wie ein vor Scham errötender Heuschober. Dabei gab es gar keinen Grund, sich zu schämen. Im Gegenteil. Plotek fand es hier so schön, dass er sich am liebsten gleich draußen auf den groben Holzbänken niedergelassen hätte. Vinzi
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