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Ahoi Polaroid

Ahoi Polaroid

Titel: Ahoi Polaroid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo Swobodnik
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Reichte ja eigentlich auch aus. Wenn die Erwartung keine andere gewesen wäre. So aber war es, als wenn man vor einem Schloss stand und nach dem Betreten im Innern mit IKEA-Möbeln vorliebnehmen musste. Da war man eben etwas enttäuscht. Obwohl IKEA-Möbel ohne Schloss gar nicht so schlecht sind.
    Vor allem Plotek war enttäuscht. Am meisten störte ihn, dass er sich die Kabine mit Vinzi teilen musste. Soll heißen: zwei Betten, ein Raum. Was so viel bedeutete wie: schlaflose Nächte. Er knipste die beiden Lampen an. Sie befanden sich in der Wand eingelassen unter dem Bullauge. Eine davon funktionierte erst gar nicht.
    »Scheiße!«
    »Ging nicht anders«, sagte Vinzi entschuldigend. »Das Schiff ist ausgebucht. Rappelvoll! Musst du die nächsten sieben Tage mit mir vorliebnehmen.« Er deutete auf die noch immer verschlossene Sporttasche. »Und natürlich dem Hund.« Er zog den Reißverschluss auf. Woraufhin der Hund vorsichtig den Kopf herausstreckte. Er bemerkte sofort, dass die Luft rein war und hüpfte heraus.
    »Na ja, vielleicht findet sich ja noch ein anderes Kopfkissen!« Vinzi zwinkerte Plotek zu.
    »Für dich.« Er lachte. »Oder mich.«
    Jetzt lachte auch Plotek.
    Der Hund verzog sich unter den Schreibtisch.
    Nachdem alle an Bord waren und das Schiff ausgelaufen war, begaben sich Vinzi und Plotek zum Abendessen in den Speisesaal auf Deck 4. Wobei sie sich mehrmals verliefen. Das Schiff kam ihnen wie ein undurchschaubares Labyrinth vor. Wie eine ihnen völlig unbekannte Kleinstadt in einem fremden Land. Mit verschlungenen Gassen, versteckten Türen, nicht enden wollenden Treppenaufgängen.
    Als sie schließlich im rustikal eingerichteten Speisesaal ankamen, tummelten sich dort schon Hunderte andere Passagiere. Es war ein Treiben wie auf einem arabischen Markt. Wäre es nicht durchorganisiert, hätte es zu einem unbeschreiblichen Chaos geführt. Für die Ordnung waren die Stewards und Stewardessen zuständig. Mit blauen Westen bekleidet und freundlich lächelnd versuchten sie, die heißhungrig herumstiebende Menschenmasse wie einen Herdenauftrieb professionell in den Griff zu kriegen. Sie platzierten die Passagiere auf ihre Sitze – blumige blaue Polsterstühle an weiß gedeckten Tischen –, nahmen die Bestellungen auf und schafften es auch, die Getränke und Speisen zeitnah zu servieren.
    Plotek und Vinzi saßen an einem großen runden Tisch mit fünf weiteren Personen. Da war zum Beispiel Herlinde Vogler-Huth aus Oberhausen, eine achtundfünfzigjährige Physiotherapeutin mit eigener Praxis und zusätzlicher Ausbildung in Osteopathie, und ihre achtzehnjährige Tochter Paula. Trotz Blutsverwandtschaft hätten die beiden unterschiedlicher nicht sein können. Die Tochter litt augenscheinlich an einem extremen Ernährungsproblem. Sie war außergewöhnlich übergewichtig, oder besser: richtiggehend fett, und von der Mutter seit kurzem auf Diät gesetzt. Die wiederum war hager und braungebrannt. Die Haare blondiert, der Körper durchtrainiert und für sein Alter noch ungewöhnlich straff. Sie war von der Bestimmung erfüllt, mit ihren riesigen, muskulösen Händen alle und alles anfassen zu müssen. Die Reise mit den Hurtigruten war ein Geschenk der Mutter an die Tochter für das mit Auszeichnung bestandene Abitur, worüber sich die Tochter aber nicht sonderlich zu freuen schien.
    Neben den beiden Frauen saßen Ruedi Eschenbach, fünfundsechzigjähriger Schokoladenfabrikant aus dem Engadin, und sein knapp vierzig Jahre alter, sehr schweigsamer Sohn Urs. Der Fünfte am Tisch war Ralf Augustin, evangelischer Pfarrer aus Nordhessen. Er war um die fünfzig und hatte ein kleines Kreuz als Stecker im linken Ohrläppchen.
    Die anfängliche Zurückhaltung der Tischgesellschaft wurde schnell aufgegeben. Nach dem ersten Taxieren und Abfragen, wer man sei und woher man käme, legten sich vor allem Ruedi Eschenbach und Herlinde Vogler-Huth mächtig ins Zeug, um die Konversation in Gang zu bringen. Was Plotek nicht so recht war. Vinzi auch nicht. Beiden war es unangenehm, ständig bequatscht zu werden. Erst recht von Fremden, mit denen einen nicht mehr verband, als dass man auf demselben Schiff am selben Tisch saß. Frau Vogler-Huth sah das völlig anders. Sie redete auf die Tischgesellschaft ein, als wäre ihr Mund ein defekter Schließmuskel, aus dem die Worte sturzbachartig herausgeschwemmt wurden. Damit drohte sie Plotek und Vinzi den Appetit und die Stimmung zu vermiesen. Das wiederum schien Herlinde Vogler-Huth nicht

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