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Ahoi Polaroid

Ahoi Polaroid

Titel: Ahoi Polaroid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo Swobodnik
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zurück.
    Der Blick des Pfarrers verdüsterte sich noch mehr. Er bekam jetzt etwas Fundamentalistisches. Ein Blick, der Plotek sogar ein wenig Angst machte. Ein Blick von Eiferern. Von Frömmlern oder Fanatikern. Oft beim Sport, in der Religion oder Politik anzutreffen. Unberechenbar, erbarmungslos und unerbittlich. Menschen, die Plotek eigentlich schon immer zuwider waren. Menschen, die nur Wasser trinken, damit sie allzeit nüchtern bleiben. Überlegt und überlegen. Keine Laster, keine Schwächen, keine Abgründe. Die im Kampf fürs vermeintlich Gute über Leichen gehen.
    »Ach, nichts.« Ralf Augustin nahm einen Schluck aus seinem Wasserglas und wischte sich übers Gesicht, als könnte er damit den Gram beseitigen. Während das Kreuz an seinem Ohr hüpfte, als wollte es den Gekreuzigten abschütteln.
    »Dafür sind Sie aber ganz schön erregt«, wandte sich Vinzi nonchalant an ihn und eilte somit Plotek zu Hilfe, als hätte er sich die Worte von Herlinde Vogler-Huth geborgt. Er konnte Kirchenmänner generell und speziell solche mit derartigem Blick nicht ausstehen.
    »Wie meinen Sie das?«, kam es scharf von Pastor Augustin zurück.
    »Meine Herren, ich bitte Sie, Sie werden sich doch nicht wegen alberner Missverständnisse die Stimmung verderben lassen«, mischte sich Ruedi Eschenbach, ganz jovialer Weltmann, wieder lächelnd ein. Der Pfarrer schien sich tatsächlich zu beruhigen. Er stocherte lustlos in seiner Lasagne herum und gab sich nun wieder eher eingeschüchtert als streitsüchtig.
    »Was essen Sie denn da?«, fragte Vinzi Paula Vogler-Huth, um der angespannten Atmosphäre seinerseits ein wenig die heiße Luft zu nehmen. Er zeigte auf eine Schale, in der nicht definierbares Geschnetzeltes lag. Paula Vogler-Huth sah ihn mit großen Augen an, als hätte er sie gefragt, ob sie ihm einen blasen wolle. Auch die Mutter horchte auf und sah aus, als würde sie das gerne übernehmen.
    »Schmeckt nach nichts.« Die Stimme der Tochter klang piepsig und passte so gar nicht zu diesem voluminösen Leib. Man hörte ihr an, dass sie nur selten sprach. Kein Wunder bei dieser Mutter. Die sich sofort in das Gespräch einmischte.
    »Aber es ist gesund. Wenig Kalorien, kein Fett, keine Kohlenhydrate, ideal.«
    Mag sein, dachte Plotek, aber was ist schon ideal? Was für die einen ideal ist, bringt die anderen um. Konjunkturpakete, Abwrackprämien, Investitionsprogramme, Atomkraft, Gen-Food, Waterboarding, Humanitäre Intervention, Kapitalismus und alles. Wenn schon ideal, dann könnte das eine achtzehnjährige Frau vielleicht selbst entscheiden.
    »Man muss doch ein bisschen auf sich achten, nicht wahr?« Die Frage war mehr eine Feststellung und direkt an Pastor Augustin gerichtet. »Das ist man sich doch selbst schuldig, oder?«
    Bei schuldig zuckte der Pastor zusammen. Er gab seine lethargische Haltung auf und erwiderte wieder im scharfen Tonfall: »Was wollen Sie damit sagen?« Wieder dieser fiebrige Blick. Diesmal an Herlinde Vogler-Huth gerichtet. Wieder das Zappeln des Kreuzes am Ohr.
    »Nichts«, sagte sie. »Ich meinte nur . . .«
    »Was? Was meinten Sie, um Himmels willen?«
    »Meine Tochter und ihre . . .« Sie stockte, griff mit ihrer Hand nach dem Unterarm von Augustin, der diesen aber noch rechtzeitig wegziehen konnte. »Ich bin jetzt so aufgeregt und eingeschüchtert, dass . . .«
    Ruedi Eschenbach legte seine mit Altersflecken übersäte Hand auf die von Frau Vogler-Huth, als wäre es keine Hand, sondern eine nackte Brust. Woraufhin Herlinde beinahe anfing zu weinen.
    »Was soll das?«, fragte Vinzi den Pastor, weil ihm dessen Verhalten langsam auf die Nerven ging. Nun gar nicht mehr nonchalant, sondern drohend. Der Kirchenmann schien kurz zu überlegen, während sein fiebriger Blick zitterte. Dann wischte er sich erneut über das Gesicht und gab schließlich klein bei. »Tut mir leid.«
    Er zerknüllte seine Serviette, stand vom Tisch auf und sagte: »Sie entschuldigen mich.«
    Er warf die Serviette auf den Teller, in dem die fast unangerührte Lasagne ruhte wie ein amputiertes Organ, und entfernte sich. Die anderen blieben teils betroffen, teils ratlos und irritiert zurück. Bis auf Plotek. Der stand ebenfalls auf. Wobei sein Blick kurz den Tisch streifte, an dem der Mann mit dem fehlenden Finger saß. Und Überraschung: Der Mann war weg.
    Plotek verließ den Speisesaal. Es sah im ersten Moment so aus, als wollte er dem Pastor hinterher. Um ihn vielleicht zu beruhigen, zur Rede zu stellen oder dergleichen.

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