Ahoi Polaroid
Aber Plotek lag nichts am Pastor. Kirchenmänner, ganz egal welcher Konfession, waren ihm völlig egal. Kirche generell. Glauben. Alles. Der Grund, weswegen er den Tisch verlassen hatte, war, dass ihm plötzlich so schlecht war, dass er jeden Moment glaubte, sich übergeben zu müssen. Da gab es bestimmt bessere Orte als den Speisesaal. Ob es an der Lasagne lag, dem Alkohol, der Fahrt auf dem Schiff oder an den wenig erquicklichen Gesprächen – keine Ahnung. Jedenfalls befand sich Plotek jetzt auf der Suche nach einer Toilette auf den Gängen des Decks 4. Was gar nicht so einfach war. Gerade für einen wie Plotek, der normalerweise nur im Froh und Munter am Tresen saß und auf dem dortigen Klo seine Notdurft verrichtete. Topographische Orientierung war noch nie seine Stärke. Er irrte auf den Decks herum und fand nichts, was an eine Toilette erinnerte. Panik, Verwirrung, Hilflosigkeit. Auf seiner immer verzweifelteren Suche nach einem WC begegnete er noch einmal Ralf Augustin, der gerade seine Kabine aufsperrte. Plotek, soeben am Ende des Flurs auf Deck 6 angekommen, erkannte den Pastor schon von weitem. Mit schnellen Schritten und der erlösenden Frage auf den Lippen, sein Klo vielleicht benützen zu dürfen, ging er auf ihn zu. Aber denkste! Noch ehe er an der Tür der Kabine ankam, hatte der Pastor sie panisch hinter sich zugezogen. Und verriegelt. Aussichtslos, ihn durch Klopfen zum Öffnen zu bewegen.
Plotek stolperte, während ihm ein säuerlicher Geschmack aufstieß, mit der Hand vor dem Mund zum Außendeck. Er wusste sich nicht mehr zu helfen. Er beugte sich kurzerhand über die Reling und kotzte die Lasagne in hohem Bogen aufs Wasser. Ein Mann, der keine fünf Meter von ihm entfernt eine Zigarette rauchte, näherte sich ihm und fragte eher heiter als besorgt: »Kann ich Ihnen helfen?«
Der Mann kam Plotek bekannt vor. Irgendwo hatte er diesen blonden, vielleicht fünfundvierzigjährigen Mann mit den schulterlangen gepflegten Haaren schon einmal gesehen.
»Danke.«
»Das ist die scheiß Seekrankheit«, sagte der Mann ein bisschen schwäbelnd. »Erwischt immer nur die Guten!« Er lachte. Es war ein spitzbübisches Lachen. »Aber bis zum Nordkap ist es bestimmt vorbei.«
Na, das sind ja schöne Aussichten, dachte Plotek. Er steckte sich ebenfalls eine Zigarette an. Beide lehnten an der Reling und sahen zum Horizont, an dem die Sonne nicht verschwinden wollte, die zu dieser Jahreszeit und in diesen Breitengraden sowieso für nur ganz kurze Zeit verschwand, wenn überhaupt.
»Reisen Sie alleine?« Der Mann fragte es, wie wenn man fragt: »Haben Sie heute schon was vor?«
»Nö. Sie?«
»Ja. Noch.« Wieder lachte er und pustete den Rauch der Sonne entgegen. »Aber ich fürchte, das hier ist kein Platz für Eroberungen.«
Kommt drauf an, mit welchen Ansprüchen man zur Jagd schreitet, dachte Plotek. Er zuckte mit den Schultern.
»Ich meine, meinen Ansprüchen scheint er nicht unbedingt gerecht zu werden.«
Wieder Schulterzucken. Was von dem Blonden wohl missverstanden wurde. »Sie haben Recht. Sylt wäre vielleicht angebrachter.«
»Hmm.«
»Manchmal kann man es sich nicht aussuchen.«
Sie Armer, dachte Plotek. Wenn er mich darum bittet, erbarme ich mich und spendiere eine Schippe Mitleid.
»Freiwillig hätte ich das Schiff wohl nie betreten.« Der Mann sagte es wieder eine Spur zu heiter.
» Schöner Zwang.«
Der Blonde grinste wieder spitzbübisch. »Das ist noch nicht entschieden.«
Klingt kryptisch, dachte Plotek. Und als wollte er sich interessant machen. Plötzlich fiel ihm wieder ein, woher er den Mann kannte. Aus dem Fernsehen. Das war ein schwäbischer Bundestagsabgeordneter der Bündnisgrünen. Ein blasser Hinterbänkler. Der vor ein paar Jahren von sich reden gemacht hatte, als er in irgendeinen Provinzskandal verwickelt war. Falsche Spesenabrechnung, privat genutzter Dienstflug, schwarz angestellte Putzfrau. Oder dergleichen. Der Name fiel Plotek allerdings nicht mehr ein.
»Man sieht sich!« Der Bundestagsabgeordnete hob die Hand und ward verschwunden. Während der immer kälter werdende Wind Plotek jetzt direkt ins Gesicht wehte.
Als Plotek an den Tisch zurückkehrte, war Ruedi Eschenbach immer noch dabei, wortgewaltig über sich und das Leben eines Schokoladenfabrikanten im schweizerischen Engadin zu referieren. Herlinde Vogler-Huth hing ihm an den Lippen, als wären sie sein Geschlecht. Sein Sohn verdrehte die Augen. Zwei weitere Personen beugten sich auffällig interessiert
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