Ahoi Polaroid
Urs, der die Augen niederschlug und versuchte, sich in seiner Lasagne zu verstecken. Ruedi Eschenbach bejahte durch eine entschlossene Kopfbewegung, als würde er gerade abwägen, ob Herlinde Vogler-Huth weniger für den Junior als vielmehr für den Senior in Betracht käme.
»Und Sie dachten, unter den eintausend Passagieren, von denen die Hälfte Frauen sind, lässt sich vielleicht die Zukünftige Ihres Sohnes finden?« Vinzi fragte es mit vollem Mund und einem Schmunzeln auf den Lippen. Er schaute sich demonstrativ im Speisesaal um.
Der Fabrikant lachte und nickte erneut, als integrierte er in seinen Schweizer Gedankenspielen neben der Mutter auch gleich noch die Tochter in sein Imperium. Nach dem Motto: Wie heirate ich eine ganze Familie? »Nun, das darf man natürlich nicht übers Knie brechen«, philosophierte er, abwechselnd die Mutter und die Tochter musternd. »Aber die Welt ist voller Zufälle und Überraschungen.«
Und Grausamkeiten, dachte Plotek, als er sich Vinzis schweifendem Blick anschloss. Was er da sah, hatte in erster Linie ein großes geriatrisches Potenzial. Mehr aber auch nicht. Manche wirkten sogar mehr tot als lebendig. Ein paar Tische weiter erkannte Plotek den jungen Mann aus dem Nachtzug nach Malmö, den, mit dem zerknitterten Leinenanzug und dem fehlenden Finger. Einer der wenigen, die sich altersmäßig von der Masse abhoben. Plotek erschrak ein wenig, weil ihn das unangenehme Gefühl beschlich, der Mann beobachte ihn. Zumindest sah er so aus, als fühlte er sich von Ploteks Blicken ertappt. Komisch, dachte Plotek. Entweder bin ich paranoid, oder der Typ ist nicht ganz koscher. Einerseits. Andererseits dachte er in Bezug auf Urs Eschenbach und die Rentnerinnentruppe um sie herum, dass das für einen Vierzigjährigen, nicht gerade schlecht aussehenden Millionärserben aus der Schweiz hier alles sicher nicht die erste Wahl sein konnte. Vielleicht hätte der Vater mit dem Sohn eher eine Luxusreise auf einem Kreuzfahrtschiff in die Karibik buchen oder in St. Moritz einen Skikurs besuchen sollen.
»Die Reise hat mein Sohnemann vorgeschlagen und ausgesucht«, sagte Vater Eschenbach, als wollte er Ploteks Bedenken zerstreuen.
Schwul, vermutete Plotek. Er warf Eschenbach junior einen prüfenden Seitenblick zu. Der lief erneut rot an. Dann blickte er erneut zu dem jungen Mann im zerknitterten Anzug. Auch der schien jetzt rot zu werden. Als gäbe es da einen Zusammenhang. Urs ist schwul oder will auf keinen Fall heiraten, dachte Plotek. Keine Zukünftige. Gar keine. Und wo ist er da richtig? Exakt, hier. Deswegen die Reise auf der MS Finnmarken.
»Ist gut, Papa.« Urs versuchte seinen mitteilungsbedürftigen Vater zu bremsen.
»Und wenn mein Sohnemann eine findet, dann könnten Sie die beiden Glücklichen sofort trauen«, wandte Ruedi Eschenbach sich nun heiter dem evangelischen Pfarrer zu, der sich bisher eher durch Schweigen und introvertiertes Verhalten ausgezeichnet hatte. Jetzt erschrak er allerdings. Als würde Vater Eschenbach nicht das heilige Sakrament der Ehe für seinen Sohn von ihm verlangen, sondern den Tod. Unklar nur, für wen: den Sohn, den Vater, oder für sich selbst. Ruedi Eschenbach lachte wieder. Herzhaft, laut, als wär’s ein Witz. Ralf Augustin lachte auch, gequält, als hätte er schon bessere gehört.
»Bloß gut, dass ein Pfarrer an Bord ist.«
Augustin wirkte eingeschüchtert, fast schon ein wenig ängstlich. Herlinde Vogler-Huth würde an seiner Stelle jetzt sagen: »Ich bin so durcheinander.« Doch dann fragte er mit einer Stimme, die weniger durcheinander als vielmehr forsch klang: »Sie meinen, es hat einen Grund, weswegen ich hier bin, was?«
»Hätte, lieber Herr Pastor, wenn es denn wäre. Konjunktiv. Aber das liegt außerhalb unser beider Einflussmöglichkeiten, nicht wahr?« Er zwinkerte dem Pfarrer verschwörerisch zu. Dieser legte die Stirn in Falten, schob die Gabel zur Seite, als wäre ihm der Appetit vergangen, sah zu Vinzi, dann zu Plotek, als wüssten die beiden vielleicht, wovon Ruedi sprach oder was er meinte, und sagte schließlich: »Ja, leider«. Wie wenn man sagt: »So ’ne Scheiße!«
Plotek schaute Vinzi an, als wollte er sagen: »Was hat der denn für Probleme?« Vinzi hob intuitiv die Schultern, was nur bedeuten konnte: Keine Ahnung, aber ganz koscher ist der nicht.
»Stimmt’s?« Ralf Augustin fixierte jetzt Plotek. Nun gar nicht mehr eingeschüchtert. Vielmehr offensiv. Sogar aggressiv.
»Stimmt was?«, gab Plotek gelangweilt
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