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Ahoi Polaroid

Ahoi Polaroid

Titel: Ahoi Polaroid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo Swobodnik
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Beispiel einmal auf dem Oktoberfest eine Leiche nackt am Ochsenspieß brutzelnd gesehen hatte, hatte er nicht einen Moment daran gedacht, sich zu übergeben. Er dachte an Schweinsbraten. An die knusprige Kruste und wie resch das roch. Während ihm langsam das Wasser im Munde zusammengelaufen war. Warum er nun beim Anblick dieses Fotos plötzlich so hysterisch reagierte, keine Ahnung. Sicher hatte es mit dem Schiff zu tun. Mit der seit Tagen andauernden Magenverstimmung. Mit den zurückliegenden Tagen in München. Mit Agnes. Dem ganzen Tohuwabohu. Seiner jetzigen Lebenssituation und allem. Vielleicht auch mit der Nazi-Elite. Das kann dann schon mal zum Kotzen sein. Genau das dachte Plotek jetzt auch, als er über der Kloschüssel hing und ganz ruhig das Resultat in der Schüssel betrachtete. Das sah nicht unansehnlich aus. Im Gegenteil, es sah aus wie Norwegen. Von der Form her, topographisch jetzt. Auch ein wenig wie das Schiff, die MS Finnmarken, von weit oben betrachtet. Es roch auch gar nicht so unangenehm. Kein Wunder. War es doch in ziemlich viel Alkohol eingelegt. Tequila, Wodka, Aquavit. . .
    »Noch immer seekrank?« Vinzi wirkte jetzt wacher. Er richtete sich in seinem Bett ein wenig auf und sah Plotek, der noch immer über der Schüssel hing, mitleidig an. Er konnte sich ein kleines Lächeln nicht verkneifen. Der Hund bekam es mit der Angst zu tun. Sein Harndrang war dahin. Er verkroch sich wieder unter dem Schreibtisch.
    Plotek konnte nichts sagen. Nachdem nichts mehr in ihm war, erhob er sich von der Kloschüssel. Den Toiletteninhalt vertraute er der bordeigenen Sickergrube an, indem er den Absaugspülknopf drückte, der mit wilden Saug – und Zischgeräuschen gierig alles verschlag. Dann trat er neben Vinzis Bett und reichte ihm kommentarlos das Polaroidfoto. Vinzi warf einen kurzen Blick darauf. Das Lächeln verging ihm. Er sprang vom Bett auf und hüpfte auf seinen Stummelbeinen zur Toilette, beugte sich ebenfalls über die Schüssel und kotzte.
    Die Frage nach der Seekrankheit hatte sich damit auch erledigt. Jetzt hätte sich ein schadenfrohes Lächeln auf Ploteks Gesicht legen können, aber da gab es nichts zu lachen. Gar nichts.
    »Scheiße, was ist das denn?«, sagte Vinzi, als er wieder aus der Toilette kam. Er hielt noch immer das Polaroidfoto in der Hand.
    Tja, was war das? Auf dem Foto war eindeutig eine Person abgebildet. Ein Mensch. Ein Mann. Splitterfasernackt. Die Handflächen waren mit großen Nägeln durchstoßen. Ebenso die Füße. Da, wo das Herz war, schaute ebenfalls ein langer Nagel aus der Brust. Der Körper war blutüberströmt. Und die Augen fehlten. Schwarze blutige Höhlen sahen den Betrachter an. Auf der Stirn standen Buchstaben blutig eingeritzt, die aber nur schwer zu entziffern waren. Ein I konnten sie erkennen. Ein M oder N.
    »INRI?«, fragte Plotek, wie wenn man fragt: »Kennst du den?«
    »Der sieht aus wie Jesus.«
    Vinzi und Plotek erkannten ihn trotz der fehlenden Augen sofort.
    »Das ist Pastor Ralf Augustin.«
    »Wie Jesus ermordet.« Vinzi verzog das Gesicht in einer Mischung aus Abscheu und Verwunderung.
    »Meinst du?«
    »Wie würdest du das Bild denn sonst deuten«, fragte Vinzi ein wenig pikiert. Er zeigte auf das entsetzliche Polaroid in seiner Hand.
    Tja, wie kann man das deuten, dachte Plotek. Vielleicht hatte es mit der Art und Weise zu tun, wie der Tote auf dem Bild dargestellt war, dass er sich übergeben musste. Vielleicht war es das Bild des Gekreuzigten, das biblische Zitat, was eine derartig heftige Reaktion bei ihm auslöste. Soll heißen: Kirche, Glaube, Religion. Was Plotek natürlich sofort wieder an seine Vergangenheit erinnerte: Jugend, Kindheit, Lauterbach. Schwäbische Alb, Pfarrer Thannwälder und alles. Das konnte dann schon mal zum Kotzen sein.
    »Vielleicht ist alles nur inszeniert?« Plotek sagte es, als wäre ihm das eindeutig die liebste Variante.
    »Du meinst eine makabre maskenbildnerische Schmierenkomödie?« Vinzi war davon wenig überzeugt. »Aber warum?«
    Plotek dachte nach. Ihm fiel nichts ein außer: »Um uns zum Kotzen zu bringen.«
    »Was ja auch gelungen ist.«
    »Aber warum?«, fragte Plotek.
    »Ich weiß nur, dass hier irgendetwas faul ist. Von Anfang an. Die Tote im Zug.« Ein Finger schoss aus Vinzis Faust. »Das seltsame Verhalten dieses Pastors gestern Abend.« Noch einer. »Dann dieser kuriose Intendant.« Vinzi hielt drei Finger in die Luft, als wollte er schwören.
    »Und der seltsame junge Mann mit dem fehlenden

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