Ahoi Polaroid
Er konnte den Friedensengel erkennen, die Frauenkirche, das Olympiastadion. Er flog mit ausgebreiteten Armen auf München zu und suchte nach einem Bändel, an dem er ziehen konnte. Damit der Fallschirm aufsprang und er langsam dahingleitend auf dem Marienplatz landen konnte. Aber keine Chance. Er landete nicht auf dem Marienplatz. Auch nicht auf dem Odeonsplatz, der Theresienwiese oder dergleichen. Er landete in einem Haus, in einem Zimmer, einem Schlafzimmer, und schließlich in einem Bett. Nicht hart, eher weich. Wie mit Fallschirm, auch ohne Fallschirm. Er landete im Bett neben einer Frau. Es war Swantje! Swantje Schmitz. Die völlig nackte Swantje lag neben ihm. Mit ihrer enormen Oberweite, die nackt noch bombastischer wirkte, und ihrer rasierten Scham. Sie befahl: »Fick misch! Fick misch!« Plotek erschrak. Es war gar nicht Swantje, die zu ihm sprach. Es war ihre nackte Scham, die sich öffnete und schloss und dabei mit feuchter Aussprache Geräusche absonderte, die sich eindeutig wie »Fick misch!« anhörten. Plotek schüttelte den Kopf und wollte das Bett gleich wieder verlassen. Aber Swantje schlang ihre dünnen epilierten Beine wie die Tentakel einer Krake um ihn. Während sich ihre feuerrote schwitzige Vulva wie ein Tier aufbäumte und lauter als zuvor »Fick misch, fick misch, du Sau!« schrie. Dabei platschte sie immer wieder wie ein nasser Waschlappen gegen Ploteks Gesicht. Es klang, als schlüge ein praller Plastikbeutel gegen Glas. Aufgetaute Gefriertüten mit Schweineiendchen gegen ein Fenster. Gummibälle gegen ein Bullauge.
Plotek riss die Lider auf. Er drehte den Kopf und sah das Bullauge an, als wäre es eine runde Laterne. Da war aber kein Plastikbeutel. Auch keine Gefriertüte. Kein Gummiball. Er sah etwas anderes vor dem Bullauge hängen. Es war kein menschliches Gesicht. Keine Maske. Es war ein Tier – ein Hund, der, an den Beinen aufgehängt, kopfüber mit dem Schädel immer wieder gegen das Glas knallte.
Aber nicht irgendein Hund: Es war der dreibeinige Hund, der tot vor dem Bullauge baumelte.
»Scheiße!«
Vinzi schnarchte immer noch. Plotek quälte sich aus dem Bett. Er zog seine Hose an, die Schuhe und stolperte auf den Flur hinaus. Das Schiff schwankte jetzt stärker. Er wankte den Gang entlang, öffnete die gläserne Außentür und trat hinaus aufs Deck. Das Schiff schaukelte so gewaltig, dass er sich an der Reling festhalten musste, um nicht umzukippen. Regen peitschte ihm ins Gesicht. Mit beiden Händen am Geländer hangelte Plotek sich langsam vorwärts. Er passierte die Bullaugen der Kabinen, die etwa auf Augenhöhe angebracht waren, bis er schließlich an das Fenster ihrer Kabine gelangte. Der Hund hing immer noch kopfüber davor, mit dem verbliebenen Hinterbein an einer Schnur festgebunden, die von Deck 6 heruntergelassen worden war. Er schlenkerte vor dem Bullauge hin und her, als lebte er. Aber vergiss es. Da war kein Leben mehr. Da war nur noch ein nasser toter Hund. Und ein nasser ratloser Plotek. Dem es bei dem Anblick den Magen umzudrehen drohte. Trotzdem versuchte Plotek nun, während er sich mit einer Hand am Bullauge festhielt, mit der anderen den Hund vom Seil zu befreien. Was gar nicht so einfach war, ohne Messer oder dergleichen. Schon gar nicht bei diesem unruhigen Seegang und dem peitschenden Regen. Irgendwie gelang es ihm nach längerem Zerren und Ziehen dann aber doch noch. Auf jeden Fall hielt er plötzlich den nassen Kadaver in der Hand, während das Seil still in der Nacht vor sich hin baumelte. Dass er bei der Aktion dem toten Hund sein drittes Bein ausgerissen hatte, war Plotek völlig entgangen.
Mit dem Hund im Arm gelangte er, wieder die Reling umklammernd, zurück zur Tür und schließlich ins Innere der MS Finnmarken. Völlig erschöpft und triefend vor Nässe schleppte Plotek sich den Flur entlang zu seiner Kabine. Er öffnete die Tür, aber noch bevor er sie wieder schließen konnte, spürte er plötzlich einen Schlag an der Schläfe und fiel zu Boden. Dabei wollte er sich im Fallen noch festhalten. Intuitiv griff er in die Luft und kriegte auch irgendetwas zu fassen. Aber nur für einen Moment. Dann sank er ohne Halt zu Boden und verlor das Bewusstsein.
Plotek flog durch einen Himmel voller Kumuluswolken. Die alle genau die gleiche Form und die Maße von Swantje Schmitz’ Oberweite hatten. Er verlor stetig an Höhe. Unter ihm tauchte eine Landschaft auf. Norwegen. Dann eine Stadt. Sortland. Ein Dorf. Risoyhamn in Nordnorwegen. Er erkannte
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