Ahoi Polaroid
der achtziger Jahre in Berlin. West-Berlin.« Noch immer betrachtete er das ovale Schwarz-Weiß-Bild im Amulett. »Damals war sie Ende zwanzig, sah genauso aus wie hier auf dem Foto.« Er reichte Plotek das Amulett.
»Meinst du, diese Liebermann ist hier auf dem Schiff. . .«
»Quatsch.« Das klang eindeutig. »Was soll sie denn . . .«
»Aber wem gehört das Amulett dann?« Plotek deutete auf den Silberschmuck in seiner Hand.
»Hmm.« Das hörte sich gar nicht mehr so eindeutig an.
»Und was hat dieses Ding mit alldem zu tun?«
»Keine Ahnung.« Noch weniger.
Während Vinzi nun wieder auf das Bild schaute, fiel Ploteks Blick auf den Hund, der noch immer auf dem Boden lag und aussah, als schliefe er. Mit offenen Augen.
»Und was machen wir jetzt mit dem Köter?« Zu dessen Lebzeiten hatte Plotek ihn eher nicht ausstehen können, doch mittlerweile tat er ihm auch ein wenig leid. Jetzt, da er tot war, empfand er tatsächlich so etwas wie Anteilnahme. Auch Mitgefühl, Mitleid und das alles. Gibt es oft. Zuerst kann man den Menschen – Freund, Freundin, Frau, Mann – nicht mehr ertragen. Wünscht ihn zum Mond, zur Hölle, ans Ende der Welt. Wenn er dann tatsächlich weg ist, fehlt er einem dann doch. Wie Agnes Plotek. Auch jetzt noch manchmal. Trotz der Schlägerei und der Bankrotterklärung ihrer Beziehung. Aber eine Beziehung ist eben kein Dispo-Kredit. Wenn das Konto überzogen ist, gleicht man es aus, zahlt zurück, und alles ist gut. In einer Beziehung kann man meistens nichts mehr zurückzahlen. Weil die Währung gewechselt hat. Aus Liebe ist Hass geworden. Liebende sind zu Pfennigfuchsern mutiert.
»Scheiße«, sagte Plotek, gedanklich beim Beziehungs-Fiasko, der Paar-Pleite und seinem emotionalen Konkurs hängengeblieben.
»Ja, hier können wir ihn nicht einfach so liegen lassen.« Vinzi riss sich vom Amulett los.
»Wen?«
»Den Hund natürlich!«, sagte Vinzi, und dann: »Seebestattung«. Was sich nach »Heiligsprechung« anhörte.
Vinzi öffnete eine Plastiktüte und wollte den dreibeini-gen Hund, der mittlerweile nur mehr ein zweibeiniger war, darin verstauen.
»Warte mal!« Plotek, wieder von der Exkursion in die eigenen Abgründe zurück, hockte sich vor das tote Tier. »Darum wäre es schade.« Er öffnete das hellblaue Halsband mit den rosa Strasssteinen und nahm es an sich. Anschließend schob Vinzi den Hund in die Tüte.
»Schön, nicht wahr?« Plotek hielt das Lederhalsband hoch. Er zog es der Länge nach auseinander. Dabei bemerkte er eine Wölbung in der Mitte der Innenseite.
»Da ist was!«
»Wo?«
»Hier, im Halsband!« Er reichte es Vinzi.
»Was soll da denn schon. . .« Vinzi stockte, befühlte das Lederband und sagte: »Tatsächlich. Da ist was drin. Fingerdick und so lang wie ein Daumen.«
»Mach auf.«
»Was?«
»Na, mach schon auf.«
Machte Vinzi schließlich auch. Er trennte mit einem Taschenmesser die Nähte des Halsbandes auf, so dass ein silberfarbenes Plastikteil zum Vorschein kam.
»Ein Stick«, sagte Vinzi. Er schien ähnlich überrascht wie Plotek.
»Was?«
»Das ist ein USB-Stick.« Vinzi hielt den kleinen Datenspeicher wie eine Monstranz hoch.
»Und was ist da drauf?«
Als könnte er Daten sehen, hielt sich Vinzi den Stick dicht vor seine Augen. »Das werden wir gleich erfahren.«
Noch bevor die MS Finnmarken gegen sieben Uhr in der Früh in Harstad anlegte, hatten die beiden auf Deck 8 bei Regen und stürmischem Wind den Hund über die Reling geworfen. Wo er in den Fluten des Arktischen Ozeans ganz unspektakulär versunken war. Anschließend begaben sich Vinzi und Plotek zum Panoramasalon auf dem gleichen Deck, von dem aus man ins Internetcafe kam. Das zu dieser
Zeit völlig verwaist war. Kein Wunder, die meisten der Passagiere lagen entweder noch im Bett oder hingen über der Kloschüssel. Obwohl: Das stimmte nicht ganz. Im Panoramasalon hielt sich doch noch ein Passagier auf. Er saß, fast nicht zu erkennen, in einem der bequemen Drehstühle. Es war der rothaarige junge Mann mit der Rimbaud-Frisur. Der angebliche Jungschriftsteller mit der durchschimmernd blassen Haut und dem fehlenden Ringfinger. Er hatte die Augen geschlossen. Es schien, als wäre er eingeschlafen. Dichten macht müde, dachte Plotek und schmunzelte.
Die Computer waren ausgeschaltet. Vinzi fuhr mit seinem Rollstuhl an den ersten PC heran. »Na los, schalt ein.«
Plotek bückte sich und drückte auf den Knopf des PCs. Der Computer ratterte und fuhr langsam hoch. Sehr langsam.
Weitere Kostenlose Bücher