Aibon - Land der Druiden
sagte etwas, das ich nicht begriff. »Wir liegen hier zwischen dem Anfang und dem Ende, John Sinclair.«
Ich lachte leise. »Wie meinst du das?«
»Dieses Land ist das, von dem die Menschen oft träumen. Kein Schlaraffenland, aber eine Dimension der Legenden und Märchen.« Er zeichnete mit der Spitze des rechten Zeigefingers einen Strich in die Luft und meinte damit die kleinen Wesen, die ihn während seines Flötenspiels tänzerisch begleitet hatten. »Kannst du dir denken, wer sie sind, John Sinclair?«
»Nein, nicht direkt.«
»Ihr Menschen habt den gleichen Ausdruck dafür wie ich. Es sind die Elfen…«
Ich musste wohl ziemlich verdutzt aus der Wäsche geschaut haben, denn er begann zu lachen. »Ja, die Elfen. Sie leben hier im Land der Märchen und Legenden. Manchmal erscheinen sie Menschen, vor allen Dingen Kindern in ihren Träumen, aber nicht, um sie zu erschrecken, und sie haben auch mit dem Anfang und dem Ende der Zeiten zu tun.«
»Wie das?«
Ryan runzelte die Stirn. Er hatte eine ziemlich helle Haut und auch zahlreiche Sommersprossen. »Um dir darauf eine Antwort zu geben, muss ich zum Beginn der Zeiten zurückgehen.«
»Ich hindere dich nicht daran.«
»Es ist aber schwer, das zu glauben, was ich dir nun erklären möchte.«
»Da mach dir mal keine Sorgen, Ryan. Ich bin viel gewohnt. Mich kann so leicht nichts erschüttern.«
»Wir werden sehen«, erwiderte er mit einem ungewöhnlichen Ernst in der Stimme.
Natürlich war ich neugierig und auch gespannt. In den nächsten Sekunden erfuhr ich etwas, das kaum zu glauben war. »Als die Welt erschaffen wurde, gab es schon zwei Seiten. Einmal die Seite des Lichts, auch das Gute genannt, und wenig später schon die Seite des Bösen, der Dunkelheit. Denn nicht alle Kräfte, die dem Licht zuerst zugetan waren, wollten auch so bleiben. Viele wurden rebellisch, sprangen ab. Heerscharen von Engeln sammelten sich um Luzifer, den Anführer des Bösen. Doch der Erzengel Michael stieß sie in die ewige Verdammnis, von den Menschen auch Hölle genannt. Kein Rebell wurde geschont, und Michael führte sein Schwert mit gnadenloser Präzision. Ob männlicher oder weiblicher Engel, sie alle verschwanden in den Tiefen, und es waren auch welche dabei, die heute einen anderen Namen besitzen.«
»Die Elfen?« fragte ich.
»Richtig, John. Ich sehe, dass du anfängst, es zu durchschauen. Es wäre wohl nicht richtig gewesen, die Elfen mit den rebellischen Engeln in einen Topf zu werfen, obwohl sie oft als Rebellen bezeichnet worden sind. Fest steht, dass man sie aus dem Himmel hinausschleuderte, aber sie fielen nicht bis in die ewige Verdammnis, sondern blieben fortan in einem Reich, das Aibon heißt und praktisch zwischen dem Anfang und dem Ende steht. Es gibt Mythologien, Sagen und Legenden, die Aibon meinen, aber einen anderen Namen dafür geprägt haben. Vielleicht auch Fegefeuer, aber das alles hat nichts zu sagen. Aibon ist die Zwischenwelt und kann von allem profitieren. Von dem Guten und von dem Bösen. Deshalb gibt es auch hier zwei gewaltige Kräfte, die gegeneinander stehen.«
Ich saß da, hatte den rechten Arm angewinkelt, den Ellbogen auf mein Knie gestellt und das Kinn in die offene Handfläche gestützt. Was man mir hier mit relativ wenigen Worten berichtet hatte, war kaum zu überblicken. Der rote Ryan hatte mir, dem Menschen, das Rätsel des Landes Aibon erklärt. Und wie oft schon hatte ich darüber nachgedacht. Nun wusste ich Bescheid.
»Das also ist Aibon!« flüsterte ich noch immer unter dem Eindruck des Gehörten.
»Ja, das ist Aibon. Aber nur ein Teil davon. Es gibt zahlreiche Geheimnisse in diesem Land.«
»Wie den Dunklen Gral.«
»Auch ihn.«
Ich sprang sofort darauf an. »Du kennst das Geheimnis des Dunklen Grals?« fragte ich.
»Nein, ich nicht. Ich bin hier für diesen Teil verantwortlich, denn ich bin der Führer der Elfen. Ich bin ihr König, ihr Herr, sie gehorchen mir. Aibon ist ein Auffangbecken für Geister, und so soll es auch bleiben. Denk an die Männer in Grau. Auch sie sehen zwar aus wie Menschen, aber es sind keine. Sie entstammen ebenfalls der Vergangenheit und haben sich nur angepasst, denn Aibon ist dabei, sich auszudehnen.«
»Es nimmt Kontakt auf.«
»So kann man es sagen. Es ist mächtig und versucht, andere Grenzen zu erreichen und zu überschreiten.«
Während dieser Antwort hatte ich ein paar Mal genickt. »Das habe ich gemerkt. Wäre es anders gewesen, hätte ich kaum die Chance gehabt, hierher zu
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