Aibon-Teufel
Schuppens her nahmen sie Kurs auf den Ort und drehten sich nicht einmal mehr um. Darüber freute sich Carlotta. Sie atmete auf, erhob sich dann und sprang vom Dach des Schuppens zu Boden. Kurz vor dem Aufprall stoppte sie mit einer Flügelbewegung ihren Sprung und wartete auf Maxine Wells und John Sinclair...
***
Wir waren gerannt und ziemlich außer Atem, als wir Carlotta erreichten. Wir hatten sie noch vom Dach des Schuppens springen sehen. Jetzt stand sie vor uns, ziemlich blass im Gesicht. Maxime hatte ihr Vorwürfe machen wollen. Als sie jedoch den Ausdruck in den Augen des Vogelmädchens sah, nahm sie davon Abstand.
»Was ist passiert?«
Carlotta musste erst mal Luft holen. »Ich glaube, ich habe einer alten Frau das Leben gerettet.«
»Wie?«
»Da im Schuppen.«
Maxine schaute mich an und sah mein Nicken. »Dann lass uns dort nachschauen.«
Ist noch jemand dort, der bewaffnet ist?«, fragte ich.
»Ich glaube nicht.«
Wir waren trotzdem vorsichtig. Ich machte den Anfang und hatte meine Beretta gezogen. Niemand erwartete mich, aber es hielt sich trotzdem eine Person in der Nähe auf. Ich hörte das leise Wimmern und schritt ihm entgegen.
Dabei musste ich bis zur hinteren Wand gehen und in das graue Dämmerlicht hinein, das dort herrschte. Es roch nach Heu oder Stroh, aber es lagerte nichts mehr in diesem Bau. Auch der Dachboden war leer.
Die Frau saß auf dem Boden. Man hatte sie an einen Balken gefesselt. Sie war schon alt und mit einem schäbigen Mantel bekleidet, der vorn offen stand und dessen Stoff mit Strohresten beschmutzt war.
Als sie mich sah, fing sie wieder an zu jammern und zu schreien. Ich schüttelte den Kopf, beugte mich zu ihr hinab und versuchte es mit einem Lächeln.
»Bitte, Madam, Sie brauchen sich nicht zu fürchten. Wir wollen Ihnen nichts tun.«
Sie glaubte mir nicht und hielt beide Hände vors Gesicht. Wieder zitterte sie, und ich musste einsehen, dass ich ihr nicht helfen konnte. Das überließ ich Maxine Wells.
Sie ging vor der Frau in die Hocke und sprach beruhigend auf sie ein. Außerdem erklärte sie, dass sie Ärztin war und bestimmt helfen konnte.
Carlotta und ich standen etwas im Hintergrund.
»Und diese alte Frau sollte wirklich getötet werden?«, fragte ich.
»Ja, das wollten die Männer. Sie brauchten einen Ersatz für die verstorbene Frau von Holbrook. Das habe ich so verstanden.«
Nach dieser Erklärung ging mir ein Licht auf. Es gab hier in Kinnaird bestimmte Regeln, die eingehalten werden mussten. Harold Holbrook hatte seine tote Frau nicht opfern können. Also brauchte der Aibon-Teufel Ersatz, und dafür hatten die drei Männer sorgen wollen.
Ich erschrak, wenn ich näher über die Menschen von Kinnaird nachdachte. Sie waren sicherlich keine eiskalten Killer, aber hier im Ort waren sie so mit den Geheimnissen und Regeln verflochten, dass sie auch vor einem Mord nicht zurückschreckten. Da mussten wir uns auf etwas gefasst machen, denn Freunde würden wir hier nicht finden.
»Ich konnte sie gerade noch davon abhalten«, berichtete Carlotta. »Der eine Mann war mit einem Gewehr bewaffnet. Der andere hatte ein Messer, das mir Angst machte.«
»Das kann ich verstehen.«
»Dann sind sie weggelaufen. Ins Dorf natürlich. Da werden wir sie auch finden können.«
»Darauf kannst du dich verlassen.«
Der Fall war von Beginn an kein Spaß gewesen, aber was nun geschehen war, das hinterließ selbst bei mir eine Gänsehaut, und ich spürte die Wut in mir hochsteigen. Ich dachte daran, dass die Frau sicherlich zur Dorfgemeinschaft gehörte. Möglicherweise war sie hier aufgewachsen, kannte alle Menschen, und dann passierte so etwas.
Der Aibon-Teufel musste die Menschen hier wie in einem Würgegriff halten.
»Da haben wir noch einiges vor uns«, sagte ich zu Carlotta.
»Und wie willst du vergehen?«
»Das weiß ich noch nicht. Als Ziel steht natürlich die Vernichtung des Aibon-Teufels im Vordergrund, aber ich werde alles daransetzen, dass es keine Toten gibt. Keine Morde, denn Mrs. Holbrook ist ja nicht umgebracht worden.«
»Sie werden aber alle gegen uns sein, John.«
»Das weiß ich.«
»Was machen wir dann?«
»Wir lassen es darauf ankommen.«
Carlotta lächelte. »Finde ich gut. Zur Not kann ich euch ja wegschaffen.«
Ich lachte leise und strich über ihr Haar. »Ich denke nicht, dass du so stark bist.«
»Manchmal wächst man über sich selbst hinaus. Das hat man mir auch in der Klinik beigebracht.«
»Denkst du oft an sie?«
Sie
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