Aina - Herzorgasmus
Glühers fuhr, wurde er langsamer, setzte sich seine Brille auf und fixierte angestrengt die Straße. Dabei sagte er: »Erzähl mir jetzt nicht, dass du einen Zauber für gutes Wetter machen willst.«
Alva lachte. »Nein. Brauche ich auch nicht. Es ist viel zu warm.«
Jetzt lachte Walter ebenfalls und fuhr noch etwas langsamer, als es so dunkel im Wald wurde, dass man glaubte, es sei Nacht. »Verflucht, ich hasse diesen Wald.«
»Halt den Rand! Er ist wunderschön!«, sagte Alva etwasbeleidigt.
»Wunderschön? Er ist stockfinster! Wie findest du dich hier zurecht?«
»Indem ich nicht krieche, wie eine lahme Schnecke. Fahr etwas schneller, sonst sind wir morgen noch nicht da.«
Walter trat aufs Gaspedal und schaltete das Radio ein, als ihm bei dieser Dunkelheit ein kalter Schauer über den Rücken lief. Alva erzählte derweil von ihren unzähligen, uralten Büchern, um ihn abzulenken. Als sie dann das kleine Haus mitten im Wald erreicht hatten, atmete Walter erleichtert auf. Es stand auf einer Lichtung, auf der es plötzlich wieder helllichter Tag war.
»Gott sei dank«, murmelte er, zog die Handbremse an und stieg mit Alva aus.
Sie lief sofort zum Haus, kramte ihren Schlüssel aus ihrer Handtasche und schloss auf. Walter beäugte das Haus sehr gründlich, konnte jedoch keinen äußeren Schaden feststellen, also folgte er ihr hinein. Als er das Wohnzimmer betrat, stockte er jedoch vor Schreck. Scherben lagen auf dem Fußboden und überall lagen Bücher, Papiere und Haushaltsgegenstände verteilt. Als er den Blick hob, bemerkte er ein zerbrochenes Fenster. »Ich hoffe, das war der Wind und kein Einbrecher«, murmelte er.
»Das hoffe ich auch«, sagte Alva und betrachtete sich das Chaos. Sie suchte den Boden sofort nach etwas Bestimmtem ab, hob hin und wieder ein Buch hoch, legte es dann wieder weg und schnappte sich das nächste.
»Soll ich dir suchen helfen?«
»Ähm… nein, geht schon. Ich finde es schon. Es sei denn, jemand hat… Ah!«
Walter beobachtete mit skeptischen Blicken, wie sie ein Buch mit solcher Sorgfalt anhob, als sei es ein wertvoller Schatz. Es sah sehr alt aus. Zerfleddert und ausgefranst. Der Ledereinband warschwarz und auf dem Buchdeckel war ein Symbol eingeprägt, das aussah, wie ein Kreis, durch den ein paar krumme Linien gezogen waren. Alva kniete sich vor die Couch, legte das Buch auf das Polster und öffnete es sorgsam mit zwei Fingern.
»Ist es giftig?«, fragte Walter neckend und kniete sich neben sie.
»Scherzkeks«, kam es von Alva nur. Sie blätterte langsam durch die Seiten, las hin und wieder einige Sätze, betrachtete sich ein paar sehr ungewöhnliche Bilder und blätterte dann weiter.
Walter beäugte das ungewöhnliche Buch skeptisch. »Latein?«
Alva nickte abwesend.
»Na gut«, seufzte er. »Ich räume schon mal ein bisschen auf und rufe Andi an. Er soll sich das Chaos mal ansehen.«
Alva hörte ihn kaum noch. Sie war in der alten Geschichte versunken, die i2hr ihre Großmutter immer erzählt hatte, um sie zu warnen. Sie hatte ihr prophezeit, dass sie eines Tages damit in Berührung kommen würde und ihr vor ihrem Tod dieses Buch überreicht, das seit Generationen in ihrer Familie weitergegeben wurde. Sie hörte ihre Worte noch so deutlich, als säße sie direkt neben ihr und flüstere ihr ins Ohr:
»Bereite dich darauf vor.«
Seit dem hatte sie dieses Buch studiert und alle Informationen darin wie ein Schwamm aufgesaugt. Ihre eigenen Informationen, die sie im Laufe der Jahre über diese Geschichte gesammelt hatte, lagen hinten im Buch. Auf Notizzetteln geschrieben, die zwischen den Seiten hervorlugten. Vorsichtig blätterte sie zu der Stelle, die ihr seit dem Wetterchaos nicht mehr aus dem Kopf ging. Die Stelle, in der er beschrieben wurde:
Schön wie ein Engel. Blendend wie die Sonne. Zerstörend und verbrennend seine Seele, schwarz und leer sein Blick. Sein kalter Atem frisst den deinen, wie sein Antlitz deine Seele frisst. Angst ist sein Name, seine Gegenwart Schmerz. Sein Pol ist die Nacht, seine Kinder sein Mythos. Verloren, wenn du bist, was ihn nährt.
Das Böse hatte einen Namen. Und es war so alt wie die Menschheit selbst. Sie hatte schon nicht mehr daran geglaubt, doch die Prophezeiung schien sich in diesem Moment zu erfüllen. Er war hier. In dieser Stadt. Jetzt, in diesem Augenblick.
Vielleicht hätte sie doch besser auf ihn hören sollen, dachte Aina bei sich. Am Ende des Tages war sie so geschafft, dass sich ihre Knochen wie Gummi anfühlten
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