Aina - Herzorgasmus
sie sei verrückt. Sie hält es nicht für real, dachte Rece. Sie ist keine Gefahr.
Töte sie!, schlug ihm Angor wütend entgegen. Zur Sicherheit. Emilia muss nichts davon erfahren. Er konnte seinen Zorn kaum bremsen. Er fühlte sich verraten. Niemand hatte so etwas jemals gewagt und niemand zog es auch jemals in Betracht Verrat an Angor zu begehen. Welch eine Vorstellung! Es war vermutlich besser sein Leben selbst zu beenden, bevor man den Teufel verärgerte.
Verstanden, dachte Rece und kappte die Verbindung. Er ignorierte den Widerstand, der in ihm aufkeimte und zog dasMedaillon aus seiner Hosentasche, das er Emilia, Angors Begleiterin, abgenommen hatte, bevor er abgereist war. Der Moment, in dem sie flehend vor ihm gekniet hatte, spielte sich erneut in seinem Kopf ab.
»Bitte«, hauchte sie unter Tränen, die ihr unablässig über das Gesicht liefen. »Bitte, tu ihr nichts! Sie weiß nicht, was sie getan hat. Sie hat keine Ahnung!« Ihr blondes Haar war hochgesteckt, doch es lagen ein paar lockige Strähnen auf ihren nackten Schultern, die im Kampf mit Angor herausgefallen waren. Sie hatte hysterisch auf ihn eingeschlagen, jedoch nicht den Hauch einer Chance gegen ihn gehabt. Er war ihr Schöpfer. Sie würde ihn niemals wirklich verletzen können oder verletzen wollen. Selbst, wenn sie ihn noch so sehr hasste.
Rece sah sie eiskalt an und reagierte nicht auf ihre Worte.
»Ich habe ihr nichts verraten!«, rief sie und krallte sich weinend an seinem Hosenbein fest. »Warum sollte ich das tun? Ich lebe für ihren Schutz! Ich würde sterben für sie!«
Jetzt kniete er sich zu ihr hinunter und sah ihr tief in die grünen Augen. »Würdest du das?«, fragte er wütend. Er wusste nicht, wem er Glauben schenken sollte. Angor fühlte sich von ihr verraten. Er glaubte, sie habe ihrer Tochter Hinweise über die einzige Schwäche der dunklen Wesen gegeben. Die Schwachstelle, über die sie getötet werden konnten. Dass Aina einen von ihnen genau an dieser Schwachstelle attackiert hatte, konnte kein Zufall sein.
Emilia nickte ohne zu zögern und erwiderte seinen Blick fest und unerschütterlich. »Ja, das würde ich.«
»Wieso?«, flüsterte Rece. Angor war bereits verschwunden. Er konnte nicht mehr hören, was sich in diesen Räumen abspielte. Und das war auch gut so. Rece wollte nicht, dass ihn jemand hörte. Sie würden sein Interesse an den Gefühlen der Menschenfür eine Schwäche halten. Er hatte sich schon immer für die Gefühlsregungen der Menschen interessiert. Aus reiner Neugier über die Funktion und die Entstehung dieser biochemischen Abläufe. Er wollte sie ergründen. Er wusste selbst nicht, warum. Emilia hatte ihn deshalb nie verurteilt. Sie brachte ihm alles darüber bei, zeigte ihm, wie er damit umgehen konnte und lehrte ihn alles über die Gefühle und Gedanken der Menschen und was sie bewegte und antrieb. Sie unterrichtete ihn im Menschsein, seit er diesen Körper besaß und die Welt damit durchwanderte.
»Weil ich sie liebe«, sagte Emilia voller Gefühl. »Ich liebe sie mehr als alles Andere auf der Welt. Sie ist meine Tochter.«
»Liebe«, raunte Rece, sah ihr Medaillon an und riss es ihr vom Hals. Dann hielt er es ihr vor das Gesicht. »Wenn du Recht hast und sie unschuldig ist, verschone ich sie«, sagte er leise, stand auf und ging.
»Das ist alles, was ich von ihr habe!«, schrie sie ihm mit schmerzverzerrter Stimme hinterher und streckte ihre Hand nach dem Medaillon aus.
»Wenn ich sie am leben lasse«, rief er, als er die große Flügeltür aufstieß, »bekommst du es wieder.«
Die kalte Nachtluft holte ihn zurück in die Gegenwart. Er ging nachdenklich in sein Schlafgemach und öffnete das Medaillon. Es war ein Bild eingearbeitet, das Aina als junges Mädchen zeigte. Sie lachte. Ein so fröhliches, unbeschwertes Lachen. Sie war hübsch. Sehr hübsch. Und sie sah ihrer Mutter sehr ähnlich. »Tut mir leid, Emilia«, sagte Rece und klappte das Medaillon wieder zu. Er mochte sie und er würde ihr hiermit das Herz herausreißen. Doch es gab keinen anderen Weg. Er schmiss das Medaillon ins Kaminfeuer und sah zu, wie es verbrannte. Und dabei zeigte sein Gesicht nicht die geringste Emotion. Nur in seinem Inneren bewegte sich etwas. Etwas, das er zutiefst hassteund immer bekämpft hatte. Ein widerwärtiger, menschlicher Zustand, der ihn rasend vor Wut machte. Das war wohl die Kehrseite, wenn man sich für menschliche Emotionen interessierte. Mitgefühl. Eine Krankheit, die sein Menschsein mit
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