Aina - Herzorgasmus
sie wohl auch nie, so lange sie in dieser Redaktion arbeitete. Doch heute hatte sie das Gefühl, dass ihre Stadtportraits zum ersten Mal zu etwas nutze waren.
Ihr Chef sah sie groß an.
»Es… gehört zu meinem Portrait«, sagte sie schnell. Sie würde den Kauf dieses Schlosses einfach mit einbauen. Das verschaffte ihr die Möglichkeit herauszufinden, wer der Mann war, der dort eingezogen war und ob es sich um denselben Mann handelte, der letzte Nacht in ihrer Wohnung aufgetaucht war. Auch, wenn in diesem Moment ihre Vernunft aufschrie und ihr einredete, dass die letzte Nacht nicht wirklich stattgefunden haben konnte. Es gab keine unverwundbaren Männer, die Wasserflaschen durch die Luft fliegen lassen, von Balkonensegeln und im Nichts verschwinden konnten.
Auf einmal leuchteten die Augen ihres Chefs auf. Er war besessen von dieser Stadt. Ihre Kollegen sagten immer, dass sie keiner so sehr liebte wie er, aber sie hielt ihn für besessen. Und nach seinem Gesicht zu urteilen, war er das auch. Besonders nach der Katastrophe, die seine Besessenheit nur umso mehr hatte aufflammen lassen.
»BENNY?!«, schrie er auf einmal. »In Ordnung, hol ihn zurück! Du machst das. Ich will ein Foto von dem Kerl und einen langen Bericht, klar?«
Aina nickte glücklich und lief sofort zu ihrem Schreibtisch, um ihre Sachen zu holen.
»Du darfst ihn interviewen?«, fragte Silke begeistert, als sie Aina dabei beobachtete, wie sie hektisch ihre Sachen einpackte.
Aina nickte glücklich und lief ohne ein weiteres Wort los. War sie eigentlich noch ganz bei Trost? Wenn es sich bei diesem Kerl tatsächlich um den Mann handelte, der letzte Nacht in ihre Wohnung eingebrochen war, dann war er gefährlich! Und sie freute sich darauf, ihn zu interviewen? Damit war es nun endgültig besiegelt. Sie hatte den Verstand verloren. Aber vielleicht wollte sie von ihm auch einfach nur wissen, was hier vor sich ging. Was mit ihr los war. Warum das alles passierte. Und… ob sie wirklich verrückt war. Außerdem – und sie versuchte nicht allzu intensiv darüber nachzudenken – zog sie irgendetwas wie magisch zu ihm. Etwas an ihm kam ihr vertraut vor und beruhigte sie auf eine seltsame Weise.
Als sie durch den dunklen Wald fuhr, der die Stadt wie eine dichte Wand aus Tannen von dem Schloss trennte, fiel ihr ein, dass es vermutlich schlauer gewesen wäre, wenn sie eine Waffe mitgenommen hätte. Sie musste sich irgendwie verteidigen, wenn er handgreiflich wurde. Sie blickte ihre Handtasche an und durchdachte den Inhalt. Doch das Einzige, das als Waffeherhalten konnte, waren ihre Schlüssel. Schon wieder. Sie fuhr seufzend weiter und bildete sich ein, dass er ihr schon nichts tun würde. Sonst hätte er ihr doch auch letzte Nacht schon etwas antun können, dachte sie. Nach einer Weile sah sie bereits die Türme, die majestätisch in den Himmel ragten und spürte, wie es in ihrem Bauch anfing zu kribbeln. Sie wusste nicht, ob es der Nervenkitzel war, der sie reizte oder die Spannung, weil sie gleich erfahren würde, was mit ihrem verkorksten Leben eigentlich los war. Vielleicht aber, und das gefiel ihr am allerwenigsten, würde sie auch auf einen langweiligen, reichen Schnösel stoßen, der sich einfach etwas Teures hatte kaufen wollen. Was es auch war. Es trieb sie dazu, fester aufs Gaspedal zu treten und die Strecke schneller hinter sich zu bringen.
Walter goss seiner Freundin noch einen Tee ein und setzte sich seufzend. »Du weißt, dass das ziemlich verrückt klingt, Alva?«, fragte er sie und sah sie skeptisch an. Er hörte sich ihre Verschwörungstheorien zwar immer an und manches davon klang auch wirklich plausibel, aber er nahm es nie wirklich ernst.
»Ja, das weiß ich. Aber genau darum geht es ja.«
»Es war nur ein Schneesturm. Das hat nichts damit zu tun, dass irgendetwas Böses in die Stadt einmarschiert ist.«
Sie machte ein ungeduldiges und entnervtes Gesicht. Ganz so, als sei Walter derjenige, der wirres Zeug redete und nicht sie. »Wann hast du das letzte Mal ein solches Unwetter und Chaos erlebt?«, fragte sie.
Walter schnaubte und dachte kurz nach. »Vor etwa 20 Jahren. Wieso?«
Alva sah ihn bedeutsam an. »Und was war vor 20 Jahren?«
Jetzt stand Walter wütend auf. »Also bitte, ja? Das hat nichts mit meiner Exfrau zu tun!«
Alva folgte ihm ins Wohnzimmer. »Ich will doch nur«, sagtesie aufgeregt, »dass du dich daran erinnerst. Ich weiß, dass es dir schwerfällt. Aber es ist vielleicht wichtig.«
»Es gibt keinen
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