Airborn 01 - Wolkenpanther
sich gefährlich zur Seite und überall lagen Palmwedel herum. Trotzdem machte das Dorf einen gepflegten und ordentlichen Eindruck. Es gab wohl eine Bodenmannschaft, die auf der Insel zurückblieb, während die anderen auf Beutezug unterwegs waren. Szpirglas hatte sich hier ein richtiges kleines Königreich aufgebaut. Der Gedanke machte mich nervös. Die Piraten würden diesen Ort unter allen Umständen geheim halten wollen. Eine Flucht würde sehr schwer werden, selbst wenn sie uns für harmlos hielten.
Mein Plan kam mir auf einmal sehr stümperhaft vor. Wir hätten davonrennen sollen, als es noch ging. Ich dachte an Bruce, der verwundet durch den Dschungel hinkte. Ich dachte an mein Schiff, das sich immer mehr mit Gas füllte, aber noch nicht startbereit war. Noch nie in meinem Leben war ich so verzweifelt gewesen. Doch als mein Blick auf Kate fiel, riss ich mich zusammen. Es war mein Plan gewesen und sie spielte tapfer mit. Ich durfte mich jetzt nicht hängen lassen.
Crumlin führte uns auf die Veranda der großen Hütte, die rundherum mit Moskitonetzen behängt war. Wir setzten uns an einen großen Tisch, wo wir auf die Rückkehr des Kapitäns warten sollten. Crumlin selbst schnürte unter lautem Grunzen seine riesigen, schwarzen Stiefel auf und ließ sie zufrieden stöhnend mit einem dumpfen Plumps auf den Boden poltern. Er hatte die größten, haarigsten Zehen, die ich je gesehen hatte. Schon bei ihrem Anblick wurde mir ganz übel. Sein großer Zeh allein hätte eine Kokosnuss zerquetschen können. Ich wunderte mich, wie ein Luftschiff einen Mann von seiner Größe überhaupt tragen konnte.
Eine nachmittägliche Brise wehte vom Wasser her zwischen die Bäume und brachte Kühlung. Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als mich in Ruhe mit Kate zu beratschlagen, aber mit diesem Riesen neben uns, der seine Füße massierte, hatten wir keine Gelegenheit dazu. Zum Glück saßen wir auf der Windseite. Durch die Türöffnung der Hütte konnte ich einen großen Raum erkennen, der offensichtlich als Speisezimmer diente und mit Tischen und Stühlen ausgestattet war. Da entdeckte ich etwas an der Wand und starrte verwundert darauf.
»Wo schaust du denn hin?«, fragte Crumlin misstrauisch und folgte meinem Blick. Er kicherte. »Ach, das. Wetten, dass du so was noch nie gesehen hast?«
Kate hatte es nun auch entdeckt, und ich warf ihr einen warnenden Blick zu, damit sie sich nicht verriet.
Der Kopf eines Wolkenpanthers hing wie eine Jagdtrophäe an der Wand. Die Flügel waren seitlich neben den Kopf genagelt worden.
»Was ist das?«, zwang ich mich zu fragen.
»Eine Missgeburt der Natur. Findet man nur in dieser Gegend hier. Sie fliegen ein paar Mal im Jahr über der Insel. Hab das da selbst geschossen, direkt vom Himmel runter. Sind echt schnell. Verdammt schwer zu treffen, kann ich euch sagen. Wir probieren's alle mal, wenn wir können. Klasse Jagdsport. Im Laufe der Jahre haben wir vielleicht vier oder fünf zur Strecke gebracht.«
Ich stellte mir vor, wie Crumlin sein Gewehr in Anschlag brachte, und begriff auf einmal, warum die Wolkenpanther sich vor Benjamin Molloys Fernglas gefürchtet hatten: Sie hatten es für ein Gewehr gehalten.
»Ich finde das ganz und gar nicht sportlich«, sagte Kate. »Sie haben euch doch nichts getan.«
Crumlin lachte tief und knurrend. »Irrtum, junge Dame. Eins von ihnen lebt hier auf der Insel. Schleicht manchmal am Rand des Dorfes rum. Erwürgt die Hühner und weidet unsere Schweine bei lebendigem Leib aus. Einmal ist er auch auf mich los. Schaut her.« Der Pirat rollte ein Hosenbein hoch und zeigte eine lange, rote, sichelförmige Narbe auf seiner haarigen Wade. »Er ist frech wie 'ne Katze und hat genauso viele Leben. Weiß nicht, wie oft wir schon auf ihn geschossen haben. Aber der geflügelte Teufel hat seine Lektion gelernt; hält sich jetzt vom Dorf fern.«
»Was für ein Glück, dass wir ihm nicht begegnet sind«, sagte ich mit einem Blick auf Kate. Ich hatte Angst, sie könnte vielleicht noch mehr sagen, aber sie grunzte nur und verzog das Gesicht, als sei ihr übel. Ich fragte mich, ob die Wolkenpanther von Natur aus böse waren oder ob die Piraten sie gelehrt hatten, Menschen anzugreifen. Ich musste an Bruce und sein verwundetes Bein denken und hoffte, dass es ihm gut ging und er mittlerweile auf dem Weg zurück zur Aurora war.
Immer mehr Männer und Frauen strömten in die Hütte, aus der zahlreiche Jubelschreie und das Klirren von Krügen zu hören waren.
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