Airborn 01 - Wolkenpanther
einzigen Überlebenden. Alle anderen sind umgekommen, darunter auch deine Mutter. Wir sind an die Insel geschwemmt worden. Lächeln! Wir müssen so tun, als würden wir glauben, von netten, freundlichen Leuten gerettet zu werden.«
»Aber werden sie uns denn nicht von dem Überfall auf die Aurora erkennen?«
»Glaub ich nicht.« Ich spekulierte darauf, dass die Piraten keine Zeit oder kein Interesse gehabt hatten, auf unsere Gesichter zu achten. Sie waren mit anderen Dingen beschäftigt gewesen.
Wenn wir sie anlügen und ihnen vorgaukeln könnten, wir wären Schiffbrüchige, dann hatten wir vielleicht eine Chance. Nach unserer Flucht durch den Wald sahen wir zumindest entsprechend verwahrlost aus: schweißnasse, schmutzige Gesichter und zerknitterte, zerrissene Kleider. Zum Glück trug ich nicht meine Schiffsuniform, die mich sofort verraten hätte, und zum Glück hatte sich Kate für die praktischen Hosen entschieden und nicht für ein Sommerkleid. Das hätte unsere Geschichte sofort auffliegen lassen, denn in einem langen Kleid wäre sie bei schwerer See bestimmt untergegangen. In ihren Pluderhosen jedoch hätte sie sich durchaus schwimmend retten können. Ich war heilfroh, dass wir die Kameraausrüstung und das Fernglas nicht mehr bei uns hatten, und hoffte inständig, dass Bruce nicht hinter uns hergerannt kam und uns alle verriet.
Mein Gürtel.
»Schnell, geh vor mir«, drängte ich Kate. »Versperr ihnen die Sicht.«
Ich gab vor, in dem hohen Gras zu stolpern, riss im Fallen meinen Gürtel aus den Schlaufen und ließ ihn einfach liegen. Auf seiner Schnalle prangte das Zeichen der Lunardi-Luftschiffgesellschaft.
Ich rappelte mich wieder auf und rannte Kate hinterher. Wir erreichten den eigentlichen Landeplatz, wo das Gras gemäht war. Die Piraten hatten in einem großen Kreis um den Ankermasten Bahnschienen verlegt, damit das Luftschiff sich auf seinen Landerädern mit dem Wind drehen konnte. Das sah nach einer Menge Arbeit aus und war sehr gut gemacht. Das Feld inmitten von Hügeln und Wald bot ein ideales Versteck für ein Luftschiff. Zwar waren Anflug und Landung dadurch etwas heikel, aber das Schiff war klein und wendig wie ein Tigerhai. Ich erinnerte mich noch gut daran, wie flink es uns durch den Nachthimmel verfolgt hatte.
»Gott sei Dank!«, rief ich, als wir uns der Mannschaft näherten. »Wir hatten schon Angst, man würde uns hier nie finden! Sind Sie von der Luftwacht?«
Die Männer musterten uns misstrauisch, und ich betete noch einmal, dass uns niemand erkannte.
»Wer zur Hölle ist das?«, flüsterte einer der Piraten einem Kameraden zu.
Es war ein komisches Gefühl, auf einen Haufen Halunken zuzustürmen und dabei so glücklich auszusehen wie ein Kind, das seine Weihnachtsgeschenke auspackt. Viele von ihnen trugen lediglich Unterhemden und auf Knielänge abgeschnittene Hosen. Ihre muskulösen Körper glänzten vor Schweiß und struppige Bärte bedeckten ihre Gesichter.
»Wo kommt ihr denn her?«, fragte einer von ihnen und trat vor.
Es war derjenige, den Szpirglas mit Crumlin angesprochen hatte, und ich nahm an, dass es sich um den Ersten Offizier handelte, falls die Luftpiraten solche Dienstgrade überhaupt kannten. Seine Schultern und Arme waren unglaublich behaart, was in dieser Hitze sicher unangenehm war, und er sah aus wie ein riesiger Grislibär.
Wir blieben vor ihm stehen. Ich war froh, dass ich noch ganz außer Atem war, als ich meine Geschichte vortrug, denn das verbarg meine Nervosität. Während ich sprach, spukten allerlei Gedanken durch meinen Kopf. Was für einen Sinn hatte dieses Versteckspiel? Das waren die Schweinehunde, die einen Offizier ermordet und alle anderen bereitwillig ihrem nassen Grab überlassen hatten, nachdem ihr Schiff die Aurora vom Bug bis zum Heck aufgeschlitzt hatte. Welche Chance hatten wir, ihnen lebend zu entkommen? Vielleicht hätten wir trotz des Wolkenpanthers wieder in den Wald fliehen und davonrennen sollen, bis unsere Lungenflügel platzten. Doch ich behielt all diese Ängste für mich und beendete mein Märchen von Sturm, Schiffbruch und Überleben.
»Der Kapitän soll sich das anhören«, knurrte Crumlin.
Ehe er nach ihm rufen konnte, kam Vikram Szpirglas persönlich das Fallreep herunter und marschierte so selbstbewusst auf uns zu, als sei er der König der Welt. Er sah fabelhaft aus. Eigentlich müsste ein so gut aussehender Mann doch auch einen guten Charakter haben, aber ich konnte in ihm nur den Mörder sehen, der eine Pistole
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